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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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sich, wie oft sie das noch zu ihm sagen würde im Laufe der Zeit.
    Jakob ging ihr voraus, öffnete die kleine Tür am Ende des Flurs und stieg die schmale Treppe hinunter, fand den Lichtschalter. „Da muss eine Neue rein“, sagte er und beäugte kritisch die müde Glühbirne, die an einer nackten Fassung hing. „Henny kann den Keller auch nicht gemocht haben, sonst hätte sie nie so etwas Hässliches geduldet.“
    Gemeinsam sahen sie sich um.
    „Uih!“, sagte Jakob.
    Eine ganze Wand war von Stapeln aus Treibholz verdeckt. Wild durcheinander türmten sich dicke Äste, dünne Zweige, bizarre Wurzeln bis zur Decke.
    „Jorams Vorrat“, stellte Carly fest.
    „Und Hennys.“ Jakob zeigte auf eine andere Ecke, in der Eimer voller Sand, Kartons mit Pappröhren, alte Töpfe und Tüten mit Kieselsteinen standen. Seltsame Bündel verschieden langer Schnüre lagen auf einem Hocker und mit weißen Muscheln gefüllte Gläser leuchteten trotzig gegen die muffige Düsternis an.
    „Ich dachte, sie hat gemalt? Wozu ist das alles?“
    „Sie hat auch Kerzen gemacht. Wir haben alle Wachsreste für sie gesammelt, und daraus goss sie neue Kerzen. Frag Anna-Lisa, sie hat oft dabei zugesehen und mitgemacht.“
    Er schob eine Kiste beiseite. „Hier ist was Nützliches!“
    „Eine Waschmaschine! Dem Himmel sei Dank.“ Carly dachte an ihre Jeans von gestern und ihren begrenzten T-Shirt-Vorrat. Sie konnte ja nicht ausschließlich in Hennys Kleidern herumlaufen.
    Jakob drückte versuchsweise ein paar Knöpfe, öffnete die Tür und spähte hinein, prüfte den Wasserhahn. „Scheint in Ordnung zu sein. Wenn nicht, sag mir Bescheid.“
    Carly betrachtete immer noch die Holzstapel. „Was um Himmels willen soll ich mit dem ganzen Holz machen?“
    „Frag Synne oder Elisa vom Strandgut . Kann sein, dass andere Künstler Interesse daran haben. Wenn nicht – ich werd mich mal umhören. Treibholz ist wunderbares Kaminholz. Macht bunte Flammen, wegen der Salze. Es wird sich bestimmt jemand finden. Jemand, der das selbst abholt und auch die Treppe raufträgt.“
    Carly wanderte um die Stapel herum, fand in einem Winkel einige Marmeladengläser, von denen eines geplatzt war und einen interessanten Geruch ausströmte, und Konservendosen, die sich gefährlich nach außen wölbten. Vorsichtig suchte sie nach den Haltbarkeitsdaten.
    „Upps!“ Jakob nahm ihr eine aus der Hand. „Die nehme ich gleich mit, ehe sie dir hier unten um die Ohren fliegen. Ich hab noch Platz in der Tonne.“ Er fand eine alte Tüte, füllte sie behutsam mit den verdorbenen Vorräten.

    „Hier ist noch was.“ Eine Zeltplane, auf der Schimmelflecken geheimnisvolle Landkarten malten, bedeckte einen großen unförmigen Gegenstand. Carly zog daran, musste niesen.
    „Warte!“ Jakob stellte die Tüte an der Treppe ab und kam ihr zu Hilfe. Gemeinsam schlugen sie die Plane zurück. Jakob pfiff leise durch die Zähne.
    „Wahnsinn!“, flüsterte Carly.
    Die Skulptur – oder war es ein Möbelstück? – war aus Holz, aber diesmal nicht aus Treibholz. Nichts daran war bizarr.
    Glatt, geschwungen und anmutig stand die Form vor ihnen, den Hals stolz erhoben, den Kopf auf Carlys Augenhöhe. Das trübe Licht der Glühbirne, die im Zug von der offenen Tür her leicht schaukelte, ließ die Gestalt bewegte Schatten werfen. Es sah aus, als ob sie sich zum Starten sammelte. Gleich, beim nächsten Atemzug oder Lufthauch, würde sie die Flügel strecken und sich in den Himmel schwingen. Der muffige Keller und das bedrückte Licht nahmen ihr keine Spur ihrer Würde.
    Sie stand am Anfang einer Reise. Am Anfang einer Suche nach dem Ende des Windes.
    „Nils Holgerssons Wildgans!“, sagte Carly andächtig. „Anna-Lisa hat erzählt, dass Joram ihr daraus vorlas, und dass er ...“
    Jakob strich über das mattglänzende Holz. „Joram. Ja. Joram Grafunder, der nie zuhause, der immer unterwegs war und nie ankam. Zumindest innerlich.“
    Carly trat näher heran. „Natürlich. Da ist ein Zettel!“ In Hennys Handschrift diesmal, größer geschrieben und in einer Plastikhülle, war er mit einem Stück Tesafilm auf den Rücken der Figur geheftet. Diese Mitteilung war dazu gedacht, gefunden zu werden.
    „Das ist Joram Grafunders Gesellenstück. Er wollte es mir schenken, aber ich habe gesagt, ich bewahre es nur für ihn auf. Ich weiß, dass er daran hängt wie an keinem anderen Stück. Er behält nie etwas, lebt aus Kartons, mag keine Spuren seines Daseins ansammeln. Dieses Eine wenigstens soll

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