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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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was?“, fragte er interessiert, warf dabei seinen direkten Blick über seine schmale Brille hinweg genau in ihr kurzes Erschrecken.
    Ja, zurück zu was? Zu einem Bruder, der ihr fremd war? Zu einer unerfüllbaren Liebe und zu einem lieben Freund, dessen geduldige Hoffnung sie immer wieder enttäuschen würde? Zu zielloser Arbeitslosigkeit in einer lärmenden Stadt voller Abgase?
    „Gute Frage“, sagte sie. „Im Moment möchte ich viel lieber über Tee nachdenken!“ Daniel Knudsen war anscheinend jemand, dem man auf seine Fragen unwillkürlich offen antwortete.
    Bereitwillig kramte er im obersten Regal herum. Das ging bei ihm ohne Leiter. Carly entdeckte ein Haarbüschel auf seinem ordentlich gekämmten Hinterkopf, das spitzbübisch in die Höhe stand und an ein frischgeschlüpftes Vogeljunges erinnerte. Aromen aus Zimt, Orangen und Kräutern und allerhand Geheimnisvollem breiteten sich beinahe sichtbar um ihn aus. Er angelte einen kleinen Korb von der Theke, füllte ihn sorgfältig mit bunten Tüten. „Das ist eine Auswahl, die eigentlich allen gerecht werden sollte.“
    „Kannten Sie Joram Grafunder?“, fragte Carly.
    „Flüchtig. Er war Kaffeetrinker. Meistens. Außer wenn es ihm nicht gutging. Er hat den Rahmen da oben gemacht.“ Sein langer Arm wies auf ein großes Bild über der Theke. Geschwungenes Treibholz umrahmte die sepiafarbene Kreidezeichnung eines einsamen Strandes.
    „Und das Bild ist von Henny“, ergänzte Carly.
    „Ja. Ihre Kunst passte gut zusammen.“
    „Nur ihre Kunst?“
    „Das habe ich nie herausgefunden.“ Er tippte die Preise in eine ächzende altmodische Kasse.
    „Warten Sie ... was war Hennys Lieblingstee? Und Jorams? Sie sagten, er trank Tee, wenn es ihm nicht gutging? Warum ging es ihm nicht gut?“
    „Er mochte sich nicht immer. Hier, das war sein Tee. Wellenschatten. Kräftiger Assam, Ihre Geschmackrichtung. Aber mit Sanddorn darin.“
    „Geben Sie mir davon auch, bitte. Und Henny?“
    „Sie mochte alles, in dem eine Prise Zimt war. Hier, der zum Beispiel: Küstensturm. Möchten Sie den auch?“
    „Ja, bitte. Was ist Ihrer Meinung nach mit Joram passiert? Lebt er noch?“
    „Nein. Ich denke, er ist ertrunken. Jeden Morgen ging er schwimmen. Allein. Im Morgengrauen. Auch bei Sturm und Kälte. Er war nicht mehr der Jüngste. Hatte manchmal Lungenprobleme. Es war leichtsinnig. Das musste irgendwann schief gehen. Wer das Meer unterschätzt, lebt gefährlich. Ich halte es für möglich, dass er es darauf anlegte. Er wollte vielleicht, dass das Meer ihm die Entscheidung abnimmt.“
    „Aber man hat ihn nie gefunden.“
    „Das hat nichts zu bedeuten. Das Meer gibt vieles nicht zurück. Die Strömungen sind heimtückisch. Auch nahe am Strand.“
    „Henny glaubte, er lebt noch. Anna-Lisa glaubt, er ist weggeflogen. Es scheint eine Menge Theorien zu geben.“
    „Das hätte ihm gefallen. Er machte gern ein Geheimnis aus sich.“ Daniel drückte ihr die Tüte in die Hand. „Ich hoffe, Ihre Gäste werden jetzt mit dem Tee zufrieden sein und Sie auch. Fühlen Sie sich wohl, solange Sie hier sind.“
    „Das tue ich. Danke!“
    Schon auf dem Weg zur Tür, entdeckte sie einen Tisch in einer Nische, der ihre Schritte ablenkte. Tischdecken und Kissen lagen darauf. Das grobe und dennoch weiche Gewebe zog ihre Hand sofort an. Schlichte hellgrüne und apricotfarbene Muscheln aus einem feineren Stoff waren sparsam auf einem dicken sandfarbenen Kissen appliziert. Carly konnte nicht widerstehen. Dieses Kissen gehörte nach Naurulokki. Henny hätte es auch gekauft, sie wusste es einfach.
    Daniel verstaute es in einer weiteren Tüte und trug dabei ein Schmunzeln im rechten Mundwinkel, das sich häuslich in ihrem Gedächtnis niederließ.
    „Henny hätte das auch gekauft“, sagte er.
    Sie verließ den Laden ungern; es duftete so gemütlich und überhaupt wohnte eine sehr angenehme Atmosphäre darin. Gerade als sie die Tüte auf dem Gepäckträger verstaut hatte, kam Daniel herausgelaufen und drückte ihr noch etwas in die Hand. „Ich glaube, der passt besonders gut zu Ihnen. Tschüss!“ Schon schloss sich die Tür wieder hinter ihm. Carly musste lachen, er war aus dem Laden geschossen wie ein sehr langbeiniger Kuckuck aus einer Uhr. Auf dem Teetütchen in ihrer Hand stand „Sandspuren“ und es roch nach Beeren und Honig und irgendeinem geheimnisvollen Gewürz.

    Zuhause verstaute sie die Tüten im Regal, aus dem sie die vertrockneten Farben genommen und Jakob mitgegeben hatte. Dabei

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