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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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behutsam in die kleine Tasche vorn in Hennys Kleid. „Pack das Frühstück ein. Wir gehen an den Strand und zeigen dem Meer, was ‘ne Harke ist!“
    „Jetzt? Sofort?“
    „Ja. Jetzt. Sofort. Um diese Zeit sind noch keine Touristen am Strand. Die Sonne geht bald auf. Komm. Jetzt oder nie! Ich bin bei dir. Du hast Jorams Harke. Und du weißt ganz genau, dass Thore dich hauptsächlich deswegen hierher geschickt hat. Also?“
    Das war gemein! Er kannte sie zu gut. Wusste, dass sie Thore nie enttäuschen würde, nicht am Ende als Feigling dastehen wollte, weil sie die Chance nicht nutzte, die er ihr geschenkt hatte.
    „Na, dann. Okay. Okay!“
    Sie goss den Tee in die Thermoskanne, schmierte hastig ein paar Brote, packte die Eier und Salz dazu, ein paar Kekse, und alles in eine von Hennys Einkaufstaschen. Orje nahm sie ihr ab.
    „Los!“, sagte er und ging voran, ohne sich umzudrehen.
    Carly schlüpfte in ihre Sandalen, folgte ihm trotz der Beklemmung, die sich kalt in ihr ausbreitete. Sicherheitshalber war sie kurz hinaufgerannt und hatte das kleine Bernsteinschiff in ihre Tasche gesteckt. Hennys Glücksbringer konnte nicht schaden, vielleicht trug das Schiff sie über die Angst. Und das Kratzen von Jorams Harke durch den dünnen Stoff ließ sie trotz allem schmunzeln.
    Was wollte sie mehr? Orje war bei ihr, Thore und Joram standen unsichtbar hinter ihr, sogar Daniel, dessen Tee in der Thermoskanne gluckerte. Auch Henny war gegenwärtig, zumindest durch ihr Kleid und das Schiff.
    „Auf diese Weise gibt mir das Meer in deinem Namen zu verstehen, dass du nicht fort bist ...“ , hatte sie geschrieben.
    Gut, dann sollte das Meer sie, Carly, jetzt in Jorams Namen und im Namen ihrer Eltern begrüßen. Und ihm und Thore und sich selbst würde sie zeigen, was eine Harke ist, indem sie sich nicht fürchtete! Trotzig machte sie sich in Orjes vertrautem Schutz auf den Weg.
    Das erste Licht folgte ihnen.
    Hell war der Sand der Dünen vor dem Nachklang der Nacht und Schweigen lag noch vor dem Deich, als Orje ihr die Hand reichte, um sie die Böschung hinaufzuziehen. Er hatte nicht den Umweg zum Strandübergang genommen, sondern Carly schnurstracks durch den Streifen Kiefernwald geführt. Vielleicht fürchtete er, sie würde einen Rückzieher machen. Oder es war nur, weil er einer war, der immer den geradesten Weg ging. Carly achtete auf ihre Füße; an den knorrigen Wurzeln, unter denen der Wind den Sand abgetragen hatte, konnte man leicht hängen bleiben. Auch war der Blick nach unten sicherer. Dumpf klangen ihre doppelten Schritte auf dem Bohlenweg, der die Düne hinauf führte. Oben nahm Orje sie bei der Hand und zog sie wortlos mit sich. Zusammen stolperten und rutschten sie den sandigen Hang hinab.
    Unten umfing er sie fest von hinten, so dass sie seine Wärme und seinen Atem spüren konnte und die Sicherheit, mit der er aufrecht stand. Sanft legte er die Hand unter ihr Kinn, zwang ihren Blick, dem Horizont nicht mehr auszuweichen.

    Hinter ihnen ging über dem Land die Sonne auf, schickte die erste verhaltene Wärme über die Wiese, auf der die Tropfen zu funkeln begannen. Das Funkeln breitete sich aus, blitzte zitternd in den Kiefernzweigen und im Dünengras, ließ die Muschelscherben und den nassen Seetang am Flutsaum aufleuchten, verhielt kurz angesichts der langen Schatten, die Carly und Orje über den Strand warfen, und zündete schließlich auf dem ersten Wellenkamm, der gerade rauschend auf sie zurollte. Von dort lief es auf das Meer hinaus, umfing eine immer größere Weite und traf am Ende auf den Himmel, der genau dort einen durchsichtigen Streifen aus Pfirsichfarben und Hellgrün trug.
    Diese freundlichen Farben waren vor zwanzig Jahren nicht da gewesen, nur ein dunstiges, brennend weißes Hitzeflimmern.
    Carly hielt den Atem an. Sie glaubte, sich aufzulösen in der Helligkeit und der unglaublichen bewegten Weite, nach der sie sich gesehnt und vor der sie sich dennoch, von Tante Alissa bestärkt, seit jenem ewig vergangenen Tag mit so tiefem Entsetzen gefürchtet hatte.
    Oder war es gerade diese Angst, die sich jetzt auflöste?

    Eine Möwe rief durchdringend, segelte über ihre Köpfe hinweg, landete dicht neben ihnen, sah sie prüfend an, krächzte noch einmal seltsam und begann, ihre Flügel zu putzen.
    Das Meer in deinem Namen ...
    Eine Möwe in deinem Namen ...
    Wieder stieg die Stimme ihres Vaters an die Oberfläche ihrer Erinnerung. „Flieg, Fischchen!“
    Unwillkürlich hatte sie es laut

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