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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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auf, klopfte Schnee von seinen Handschuhen.
    „Findest du, die Zukunft hat es verdient, mit der Liebe gleich mitversenkt zu werden?“
    Henny sagte nichts, saß reglos.
    Er tippte mit dem Finger auf die silbernen Segel. „So ein Schiff kann auch die Richtung ändern. Plötzlich kommt ein neuer Wind aus einer anderen Richtung und es saust los in frische Gewässer.“
    „Oder man nimmt ein anderes Schiff. Wie er ...“ Henny brachte es nicht über sich, seinen Namen auszusprechen. Tat sie es, war ihr sofort Nicholas’ Geruch nahe, sein schiefes, melancholisches Lächeln, die kleinen Fältchen in seinen Augenwinkeln, der Geschmack auf seinen Lippen, seine ausholende Geste, wenn er seinen Arm um sie legte.
    Da sie keine Anstalten machte aufzustehen, setzte sich Joram neben Henny.
    „Was ist passiert?“
    „Zwei Wochen vor der Hochzeit ist er verschwunden. Er hat sich nicht verabschiedet. Nicht bei mir, nicht bei seinen Eltern. Kein Wort, kein Brief. Myra hat es in Hamburg herausgefunden, Wochen später. Er stand auf der Passagierliste eines Dampfers nach Amerika.“
    Henny war im Dunkeln kaum noch erkennbar. Er nahm gerade noch wahr, dass sie das Schiffchen in ihrer Hand gegen den letzten Lichtstreifen am Horizont hob.
    „Es leuchtet nicht mehr.“ So wie sie es sagte, klang es, als sei der Punkt hinter dem Satz ein Punkt hinter allem.
    „Ist das euer Glücksbringer?“
    „Meiner. Dachte ich. Er hat einen eigenen, ein eigenes Schiffchen.“
    „Na dann. Dann kann deins ja immer noch funktionieren. Es kommt immer darauf an, wie man etwas beleuchtet. Schau mal.“ Joram Grafunder fischte etwas aus seiner Manteltasche, knipste eine Taschenlampe an, steckte sie Henny zwischen die kältesteifen Finger, legte seine über ihre Hand und richtete den schmalen Lichtkegel auf das Schiff.
    Silbern blitzten die Segel auf, streuten helle Funken in Hennys Haar und auf Jorams Stirn. Honiggolden leuchtete der Bernsteinrumpf, erinnerte an warme Tage voller Licht.
    „Oh!“, staunte Henny. „Im Dunkeln sieht es ja noch schöner aus!“
    „Siehst du. Es kann noch leuchten. Du kannst es selbst dazu bringen. Und ich bringe dich jetzt nach Hause. Schau, es schneit wieder und der Wind klingt nicht gut. Komm!“ Er zog sie hoch.
    Der helle Kreis des Lichtkegels huschte vor ihnen über den weißen Boden. Joram ging voraus, Henny folgte widerspruchslos in seinem Windschatten. An einem Blätterhaufen zwischen zwei Gräbern blieb sie stehen, überlegte ein letztes Mal, ob sie das Schiff dort hineinstecken sollte, wo es im Frühling mit dem Laub im Boden versinken, von Sturm und Sand verschüttet werden würde.
    Joram blieb stehen.
    „Komm!“, sagte er streng.
    Henny war froh, als das Taschenlampenlicht endlich ihr Haus einfing.
    „Ein schönes Zuhause“, sagte Joram. „Sei froh, dass du eines hast.“
    „Hast du nicht?“, fragte Henny erschrocken.
    „Ich bin dafür nicht gemacht. Wie gesagt, ich bin nur auf der Durchreise. Immer.“
    „Willst du reinkommen? Wir könnten zusammen anstoßen. Ich kann einen Sekt holen und wir trinken ihn in der Loggia, machen ein Feuer ...“
    „Vielen Dank, aber nein. Ich bin an Silvester traditionell allein. Ich wünsche dir Glück, Henny. Denk daran, morgen ist ein neues Jahr!“
    Zu ihrer Überraschung beugte er sich zu ihr herunter und küsste sie, so leicht, dass sie sich später nicht sicher war, ob sie es sich eingebildet hatte.
    Er war schon ein paar Schritte den Weg herunter, als er umkehrte und ihr die Taschenlampe in die Hand drückte.
    „Hier. Falls dein Schiff mal wieder Licht braucht.“

    Als die Kirchenuhr Mitternacht schlug, schlief Henny fest. Auf der Fensterbank stand aufrecht das Schiff. Daneben lag die Taschenlampe.

Carly
1999

18. Die Westentaschenharke
     

    Wirklich weitergekommen war Carly nicht mit dem Aufräumen. Aber immerhin hatte sie drei Säcke gefüllt, die sie nach unten schleppte und im Flur abstellte. Sie würde Jakob um Hilfe bitten müssen. Oder Synne.
    „Hier hilft man sich mit so was“, hatte Jakob gesagt.
    Aber sie wollte nicht mit leeren Händen zu Jakob. Kurz entschlossen fing sie an, einen Teig anzurühren. Der Duft von Backwerk würde Naurulokki guttun nach dem Wühlen im Schrank, das alten Staub aufgewirbelt hatte. Mal sehen, wie ihre Zuckerrübensirup-Kekse bei Jakob und Anna-Lisa ankommen würden.
    Der Duft fand sogar seinen Weg in den Wind. Vor dem offenen Küchenfenster räusperte sich jemand.
    „Tach! Hier riecht es aber gut. Die

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