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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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fremde Welt ohne Substanz darin – rausgeworfene Zeit. Viele behaupten ja, ich lebte zu sehr zurückgezogen – aber ich brauche das, wenn ich kreativ sein will ... jemand, der nachts um vier auf der Terrasse dem Sturm zuhört, ist zuallererst glücklich, später dann müde, aber nicht einsam, nur rein physisch alleine.“
    Henny hatte darunter notiert: „Unter Menschen fühle ich mich nicht nur auf Partys einsam – aber im Haus und Garten nie, vor allem seit Jorams Möbel mit mir hier wohnen.“

    Nachdenklich steckte Carly den Brief in die Tasche. Von Anfang an hatte sie das Gefühl gehabt, mit Henny vieles gemeinsam zu haben, aber offenbar verhielt es sich mit Joram ähnlich.
    Carly war nicht nur gern nachts unterwegs, sie war zeitweise auch gern allein, immer schon, und Partys hasste sie, wie auch die Innenstadt. Je größer das Menschengedränge desto ausgeschlossener fühlte sie sich. Woher das kam, wusste sie nicht. Weil Tante Alissa anders war als die Eltern der anderen, weil Carly nicht in eine Stadt gehörte, weil sie ihren Professor liebte und nicht einen Studenten ihres Alters, weil sie sich nicht für Klamotten interessierte? Egal, sie hatte es hingenommen, wie es eben war. Nur mit Thore war das anders gewesen. Mit ihm hatte sie sich nie im negativen Sinne einsam gefühlt. Die unsichtbare Glaswand, die sie gelegentlich zwischen sich und anderen spürte, war wie aufgelöst, wenn sie mit ihm zusammen war. Bedingt war das auch mit Orje so und, vor sehr langer Zeit, mit Ralph.
    Heute Morgen war sie kurz irritiert gewesen, als Orje auftauchte. Sie genoss jeden Tag auf Naurulokki, das Alleinsein mit den Gerüchen, Farben und Geräuschen im Haus und in der Landschaft und den vorläufigen Abstand zu allem, was Berlin für sie bedeutete. Zumindest hatte sie das gedacht. Aber nun fiel ihr auf, wie wohl und gelöst sie sich mit den Menschen hier fühlte – ganz anders als zuhause. Jakob, Anna-Lisa, Synne, Daniel. Sogar der Briefträger. Neu war das und ungewohnt. Aber angenehm.
    Hastig wischte sie mit einem nassen Tuch den Staub aus den leeren Regalen, schob die übervollen Bücherkisten in eine ordentliche Reihe und lief in die Küche. Dort belud sie ein großes Tablett mit Broten, Keksen und der Limonade.
    „Picknick!“, rief sie, stellte das Essen auf dem Tisch unter der Trauerbirke ab und bewunderte das Zelt, das tatsächlich beinahe gerade stand.
    „Sind wir nicht gut?“, fragte Orje. „Ohne Anna-Lisas geschickte Hände hätte ich das nie fertiggebracht!“
    „Phantastisch. Und die Bücherregale sind auch leer!“
    „Du hast aber nicht etwa die Kisten geschleppt?“
    „Wie denn? Ich krieg sie nicht mal hoch. Außerdem weiß ich nicht, wohin damit.“
    „In den Schuppen. Da müsste Platz sein“, meinte Anna-Lisa gelassen.
    Carly sah sie entgeistert an.
    „Schuppen? Es gibt einen Schuppen? Wo?“
    „Da oben. Komm!“
    Anna-Lisa führte sie den Abhang hinauf, am Haus vorbei, wo oben an der Grundstücksgrenze eine verwilderte Hecke mäanderte. Hinter drei Sommerfliederbüschen, an denen noch einzelne schmetterlingsbesetzte blaue und weiße Blüten in den Himmel zeigten, stand eine geräumige Holzhütte.
    „Noch schiefer als das Zelt, aber stabil“, stellte Orje fest.
    „Hinter die Büsche hab ich noch nie geguckt“, sagte Carly verblüfft. „Gibt es hier noch mehr Geheimnisse?“
    „Glaub nicht.“ Stolz öffnete Anna-Lisa die Tür.
    „Ein Rasenmäher!“, freute sich Carly.
    „Soll ich den Rasen gleich mähen? Ich mag den Geruch so! Und hier am Hang ist das nicht so leicht“, bot Orje an.
    „Das wäre toll. Nötig ist es. Aber vorher essen wir was. Hier drin ist wirklich Platz für die Kisten!“
    Der Schuppen war erstaunlich aufgeräumt. Bis auf Gartengeräte, eine Schubkarre, zwei leere Farbeimer und einen Gartentisch mit abgeblätterter Farbe, auf dem Samentüten und Saatschalen standen, beherbergte er nur Raum.
    Orje nahm den Rasenmäher gleich mit.
    „Halt, Orje, da muss noch Benzin rein!“ Eifrig schleppte Anna-Lisa einen Trichter und einen Kanister an. Einträchtig beugten sie sich über den Schraubdeckel.
    „Ich geh schon mal den Tisch decken“, sagte Carly belustigt.

    Der Platz unter der Trauerbirke hatte es ihr angetan. Er fühlte sich besonders an. Richtig. Als hätte sie genau hier Wurzeln wie der alte Baum.
    Zu dritt saßen sie um den Tisch und Anna-Lisa füllte beflissen Orjes Glas, sobald er es geleert hatte. Er bedankte sich höflich. Vor dem Tor hielt Jakobs Auto.

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