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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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widersprechen.
    „Er ist ja nicht hier, er ist in Ägypten“, sagte sie beruhigend.
    „Hmpf! Lässt Sie die Dreckarbeit machen, was? Ich bin übrigens Myra Webelhuth. Wenn Sie Hilfe brauchen, sagen Sie ruhig Bescheid.“
    „Vielen Dank. Jakob Hellmond hat mir zum Glück schon viel geholfen.“
    „Hmpf.“
    Frau Webelhuth schien nicht nur von Thore Sjöberg, sondern von Männern im Allgemeinen nicht allzu viel zu halten.
    Dafür steckten ihre langen Beine allerdings in ziemlich kessen Shorts, fand Carly, als ihre seltsame Nachbarin ohne weiteres Wort ins Haus stapfte. Und sie standen ihr ihrem Alter zum Trotz nicht schlecht. Eigentlich hatte Carly sie noch über Henny ausfragen wollen. Sicher wohnte Frau Webelhuth schon länger hier. Na gut, dann ein andermal – es würde schon noch eine Gelegenheit geben.
    Oben am Hang schnitt sie auch den verwelkten Schmetterlingsflieder, zog ein paar vertrocknete Vergissmeinnichtpflanzen aus dem Boden, richtete umgefallene Astern auf. Tau glitzerte, ihre Socken wurden feucht. Es duftete nach Heidekraut, Kiefern und Meer. Im Wind trieben gedämpft die Rufe verschlafener Möwen. Drüben schimmerte Licht in Jakobs Fenstern. Durch die offene Haustür Naurulokkis sah sie unter der Lampe im Flur als Schattenriss den Dahlienstrauß in der bauchigen Vase stehen. Niemand wollte in diesem Augenblick etwas von ihr. Die Vergangenheit und die Zukunft schliefen schweigend irgendwo hinter dem dunklen Horizont, streuten ausnahmsweise kein Bild in ihre Gedanken. Unten am Tor stieg Nebel aus der Senke auf, verwischte die weißleuchtenden Sterndolden der wilden Möhre. Hätte jemand Carly und die Zeit genau in diesem Moment eingefroren, hätte sie nichts dagegen einzuwenden gehabt. Sie stellte sich das als ein Bild vor, gemalt von Henny und unverrückbar aufgehängt unter dem sturmfesten Reetdach.

Henny
1958

23. Muscheln und Meinungen
     

    Der Sommerabend duftete nach Kiefern, Meer und Sommerflieder. An der Ostgrenze des Gartens, zu Myras Haus hin, leuchteten die Kugelblüten der weißen Hortensienbüsche, die Hennys Oma Matilda einst gepflanzt hatte. Henny und Myra saßen auf der untersten Treppenstufe vor der Haustür und sahen Thore und Liv zu, die mit selbstgemachtem Pfeil und Bogen auf einen Strohsack zielten, auf den Thore eine Zielscheibe aus Zeitungspapier geheftet hatte.
    „Kaum zu glauben, dass die beiden schon dreizehn sind“, meinte Myra. „Sie benehmen sich immer noch wie Kinder.“
    „Sie sind Kinder, Myra. Bei uns war das anders, es war Krieg, wir mussten eher erwachsen werden. Ich hoffe, sie bleiben noch lange Kinder.“
    „Stört dich Thore nicht? Du magst doch sonst keinen Besuch im Haus.“
    „Kinder stören mich nicht, im Gegenteil. Ich kann gut malen, wenn sie da sind. Er macht die Tage bunter. Ich bin froh, dass ich ihn Tante Simone wenigstens in den Ferien abnehmen kann. Es geht ihr nicht gut mit ihrer Multiplen Sklerose. Und Thore gefällt es hier.“
    Gerade kam er angerannt, atemlos.
    „Henny, können wir nachher das Fernrohr rausholen? Zeigst du mir noch mehr Sterne? Ich mag ihre Namen!“
    „Können wir. Aber es muss erst richtig dunkel sein. Das dauert noch. Macht euch doch eine Limonade, Liv und du. In der Küche sind Zitronen.“
    Bald hörten die beiden Frauen wildes Klappern durch das offene Fenster.
    „Meldet sich Livs Patenonkel eigentlich manchmal?“
    „Der Doktor Friedrich aus Berlin? Naja. Er schickt ihr kleine Pflichtgeschenke zum Geburtstag und zu Weihnachten. Ist eben auch nur ein Mann.“
    „Das ist doch aber etwas. Mehr als ...“ Henny verstummte, starrte auf ihre nackten Füße zwischen den hellen Dolden der wilden Möhre.
    „Du wartest nicht etwa immer noch auf eine Nachricht von Nicholas? Mädchen, sieh den Tatsachen ins Auge. Er ist ein Verräter. Ein Egoist. Er war immer schon schwach. In der Schule hat er abgeschrieben und es nie zugegeben, und später konnte er es nicht verkraften, dass deine Bilder besser waren als seine. Und wenn er sich bis jetzt nicht gemeldet hat, wird er es nie mehr tun. Er hat den Zeitpunkt längst verpasst. Wird sich einreden, es wäre ohnehin zu spät. Macht es sich leicht, wie immer.“
    „Das behauptest nur du. Er hat sich nie etwas leicht gemacht. Und seine Bilder waren wunderschön.“
    „Na, du hast jedenfalls mehr Anerkennung erhalten, und das nicht ohne Grund. Und du würdest noch mehr bekommen, wenn du nicht jeder Einladung zu einer Ausstellung aus dem Wege gehen und all deine Bilder

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