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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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Orchestermusik ein, die angenehm gedämpft und gefolgt von einem kleinen Echo über das Wasser hallte. Jetzt fiel es Carly ein. Die Seebrücke war ja gesperrt worden, weil das Feuerwerk aufgebaut wurde! Sie liebte Feuerwerk, aber dass das am Meer unendlich viel beeindruckender wirkte als in Berlin, darüber hatte sie natürlich nie nachgedacht.
    Großartig stiegen die Funkenbilder und Lichtfontänen in den Himmel, synchron zu der mal bombastischen, mal leisen Musik. Leuchtkugeln explodierten, streuten bunte Sterne in den dunklen Himmel, malten sogar Schmetterlinge. Es war so ganz anders, ein Feuerwerk völlig ohne Stadt, die mit ihren Lichtern ablenkte. Was Carly am tiefsten verzauberte aber, war die Art, wie sich die Farben in den Wellen spiegelten, die ganze riesige, bewegte Wasserfläche golden, silbern, blau, rot und grün im Wechsel aufleuchten ließ. Dazwischen Dunkelheit, als stünde sie mit Jakob im leeren Raum. Und dann wieder ein zitternder, rauschender Glanz um sie herum, während sie die Vibrationen der Musik unter ihren Füßen im Sand spürte.
    Jakob und die See hatten ihr ein Märchen geschenkt, und sie ließ sich beglückt und ungeniert in kindliches Staunen fallen. Sie hatte die Zeit festhalten wollen: für einen Moment war es jetzt möglich – solange der hölzerne Finger der Seebrücke wie im Größenwahn die Nacht bemalte.

    Zurück auf Naurulokki standen wieder nur die Sterne am Himmel, die dort hingehörten. Das Sommerdreieck zwinkerte auf das Zelt herunter, aus dem Carly ruhiges Atmen hören konnte. Herkules würde bald für dieses Jahr hinter dem Horizont verschwinden; auch ein Zeichen, dass der Sommer zu Ende ging.
    In der Nacht träumte sie von glühend bunten Wellen, über die sie in einem Boot mit knatternden Segeln fuhr, und sie konnte nicht über Bord gehen, weil ein Mann in einem Fischerpullover sie festhielt.

    Das Segel knatterte nicht, als sie am nächsten Morgen in dem kleinen, malerischen Hafen standen und Jakob einem nach dem anderen die Hand reichte, um sie aufs Boot zu ziehen. Der Wind, so behauptete Jakob, war genau richtig, nicht mehr und nicht weniger, als man brauchte.
    „Warum haben Zeesboote braune Segel?“, wollte Paul wissen.
    „Und warum heißen die Zeesboot?“, hakte Peer nach.
    „Zeesen nannte man die Schleppnetze, mit denen gefischt wurde. Zeesboote gibt es schon sehr lange. Früher lebte man vom Fischfang. Heute lohnt sich das nicht mehr. Die Fischer haben die Segel früher mit Ockerfarbe, Holzteer, Lebertran und Gerblauge aus Eichenrinde und Rindertalg imprägniert, um sie länger haltbar zu machen, dadurch wurden sie braun. Die Farbe hat man aus traditionellen Gründen beibehalten. Diese Segel gehören zum Gesicht der Landschaft.“

    Carly zögerte, aber Peer und Paul, die schon an Bord waren, beugten sich vor und streckten ihr beide eine Hand entgegen.
    So waren es Thores Kinder, die, wie er selbst so oft, ihr über eine weitere Angst hinweghalfen und ein weiteres Tabu für immer in den Wind jagten.
    Sie hielt den Atem an, als ihre Füße auf dem schwankenden Deck landeten, aber weder die Welt noch das Boot gingen unter, und es wurde auch nicht unaufhaltsam auf das Wasser hinausgezogen.
    Orje stand ruhig neben ihr an der Reling. Seine Gegenwart gab ihr Halt, und nach einer Weile bemerkte sie, dass das Gefühl, auf diesen braunen Segelschwingen gemächlich und leicht über das Wasser zu fliegen, zu ihr passte, als wäre sie dafür geboren.
    Es wunderte sie nicht einmal. Es bestätigte ein altes Gefühl, das sie nur aus den Tiefen des Teppichs und der Loyalität Tante Alissa gegenüber wieder hatte befreien müssen.
    Die Sonne kämpfte sich zwischen Zügen aus Schäfchenwolken hervor. Flüssiges Licht füllte den Bodden wie eine Erinnerung an das Feuerwerk von gestern Abend. Hoch über den zwei Masten kreisten Möwen. Gelegentlich sprang ein Fisch.
    „Flieg, Fischchen!“
    Das hier war wirklich wie Fliegen.
    „Na, wie gefällt es dir?“ Jakob, die Hand sicher am Steuer, strahlte zu ihr herunter.
    „Wunderbar! Danke!“ Sie sahen sich an, und der Moment dehnte sich. Er war dem Kapitän, von dem sie in Anna-Lisas Alter und darüber hinaus geträumt hatte, so ähnlich. Sie sah die stumme Frage in seinen Augen.
    Doch hinter ihm malte Peer, der Synne etwas erzählte, mit den Fingern in die Luft, auf genau dieselbe Weise wie Thore, wenn er vor der Tafel stand und Vorträge hielt.
    Carly hielt Jakobs Blick stand und schüttelte kaum merkbar und bedauernd den

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