Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
Vom Netzwerk:
Kopf.
    Er lächelte sie ebenso bedauernd an und wandte sich wieder dem Steuer zu.
    Weder er noch Daniel, der oft durch ihre Gedanken trieb, konnten Thores Echo vertreiben.
    Nur Joram – dem verschwundenen Joram Grafunder fühlte sie sich seltsam nahe, wann immer sie seine Zeilen las oder mit der Hand über seine hölzernen Werke strich.

22. Käufer und Nachbarn
     

    Carly hatte den würzigen Seewind noch in der Nase und das hohe braune Segel vor Augen, als sie gegen Abend in der Küche saß und auf das Blog schrieb. Sie wollte ihre Gedanken sortieren und Orje, der mit Peer und Paul schon wieder sicher in Berlin gelandet war, auf den neuesten Stand bringen.
    „Erzähl mir alles über Herrn Schnug!“, hatte er beim Abschied gesagt. „Dieses Haus ist mir auch schon sympathisch. Man möchte, dass es in gute Hände kommt.“
    „Schade, dass Papa es nicht behält“, sagte Peer. „Hier könnten wir tolle Ferien machen!“
    Nach dem Bootsausflug hatte Carly ihnen Naurulokki gezeigt. Die Dachzimmer gefielen ihnen, die von Joram gezimmerte Garderobe, die hölzerne Gans und der Keller. Das Reetdach mit den Windbrettern und die geschnitzte Haustür. Es hörte sich so richtig an, als ihre Schritte über die Treppe tobten und ihre noch kindlichen Stimmen um die Ecken hallten. Als wären sie immer schon hier gewesen. Carly sah förmlich vor sich, wie Henny mit ihnen Kerzen bastelte, wie Joram im Keller das Treibholz mit ihnen sortierte.
    „Wir können ja noch mal mit ihm reden!“, meinte Paul hoffnungsvoll.
    „Oder wir bleiben und vergraulen den Herrn Schnug“, schlug Peer vor.
    Orje zog ihn am Ohr.
    „Dann kommt ein anderer“, sagte er. „An eurer Stelle würde ich den Ball flach halten nach eurem ungenehmigten Ausflug.“
    „Diesen Gedanken des Vergraulens hatte ich auch“, schrieb sie in das Blog. Eigentlich hätte sie alles andere tun sollen, als hier am offenen Fenster sitzen und ihren Gedanken nachhängen.
    „Das wird selbstverständlich noch entsorgt“, hatte sie mit aufgesetzter Souveränität zu Herrn Schnug gesagt, als er angesichts der Papierstapel auf dem Schreibtisch zusammengezuckt war. „Ich musste mich zuerst um dringendere Angelegenheiten kümmern.“
    Wie der Schreibtisch wirklich aussah, wusste sie immer noch nicht, es war ja kein Quadratzentimeter frei.
    „Wenn der Herr Schnug so gewesen wäre, wie ich ihn mir vorstellte – hochnäsig und steif, Porschefahrer im Lacoste-Shirt, dann hätte ich diesem kindischen Ich vielleicht nachgegeben und ihn abgeschreckt“, schrieb Carly. „Aber er fuhr einen alten Käfer. Er hatte nette Augen und ein ebensolches Lächeln. Und zu allem Überfluss kam er mit einem Dahlienstrauß.“
    Orje zuliebe unterschlug sie die Tatsache, dass Herr Schnug ihren Dank für den wirklich schönen Strauß zurückgewiesen hatte.
    „Den Auftrag, Ihnen diese Blumen zu überreichen, gab mir Herr Sjöberg, als wir uns auf dem Flughafen kennenlernten“, erklärte er.
    Entwaffnet steckte Carly ihre Nase in die Blüten, damit er ihre Verlegenheit nicht sah.
    „Verflixt, Thore!“, dachte sie. Er wusste, dass sie Dahlien mochte. Vielleicht hatte er einfach nur nett sein wollen, aber ebenso wahrscheinlich war es, dass er ahnte, wie ihr zumute war, und das Schnug-Vergraulen geschickt verhindern wollte.
    Am Ende lag es aber nicht an dem Strauß, dass sie den Herrn Schnug nicht nur bereitwillig herumführte, sondern ihm auch einen von Daniels besten Tees servierte.
    „Er war so offen und so hin- und hergerissen“, schrieb Carly. „Das Haus gefiel ihm, aber es ist zu klein. Er stand in der Stube und stieß sich fast den Kopf an der Decke, hatte eigentlich kaum Platz, sich zu bewegen. Er meinte, er bräuchte ein großes Büro. Und erzählte, seine Frau hätte Möbel geerbt, die sie hier gerne unterbringen würde.“
    „Schade“, hatte er gesagt und sich anerkennend umgesehen. „Hier sind wundervolle Möbel. Aber die könnte ich leider nicht übernehmen.“
    „Es gibt wahrscheinlich bereits einen Interessenten dafür“, beruhigte Carly ihn widerstrebend. „Eine Galerie im Ort. Der Künstler hat sich hier einen Namen gemacht.“ Sie brachte es nicht fertig, von Joram in der Vergangenheitsform zu sprechen. Wenn er noch lebte ... außerdem war er so anwesend. Carly war sich sicher, dass er lauschte, irgendwo aus den Schatten unter dem Dach, prüfend ob der Herr Schnug des Hauses würdig wäre: ob er wohnen konnte. „Wohnen ist eine Tätigkeit“, hatte Joram an Henny

Weitere Kostenlose Bücher