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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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Zitronensaft von den Fingern!“

    Myra stand auf, klopfte sich Rosenblätter von ihrem kurzen Rock.
    „Ich freue mich sehr, dass es dir besser geht, Henny. Aber ...“
    „Was aber?“ Henny ahnte Myras ernsten Blick in der Dunkelheit nur.
    „Ich glaube, dass du deine Bilder versteckst, weil du doch fürchtest, dass ich Recht habe. Damit, dass Nicholas nicht ertragen konnte, dass deine Kunst seiner überlegen war.“
    „Kunst ist nicht überlegen. Kunst ist verschieden.“
    „Wie auch immer. Nicht alle sind wie Nicholas, weißt du. Andere werden dich nicht ablehnen, weil du gut bist. Deine Bilder sind einzigartig. Viele Menschen sollten sie sehen. Sie machen solche Freude! Und du könntest reichlich verdienen.“
    Henny stand auch auf.
    „Ich habe, was ich brauche“, wiederholte sie.

    An der Tür klapperte es. Thore bugsierte vorsichtig die drei Beine des Teleskops hindurch.
    „Henny, zeigst du mir nochmal Atair? Der war im Sommerdreieck, oder?“

Carly
1999

24. Gelb
     

    Carly setzte sich sofort nach dem Frühstück vorsichtig, aber entschlossen auf den altersschwachen Stuhl im Büro, der ganz bestimmt nicht von Joram gemacht worden war, und betrachtete zaghaft die Papierstapel auf dem Schreibtisch. Dieser nahm den halben Raum ein.
    „Am besten einfach anfangen“, sagte sie sich. Sie hatte eine Sperrmülltüte mitgenommen und verbrachte die nächsten zwei Stunden damit, Werbung darin zu versenken, alte Zeitungen, gebrauchte Briefumschläge. Einige Mahnungen über unbezahlte Bücher und Blumenerde sowie eine Wassernachzahlung steckte sie in ein Kuvert, das sie gleich an Thore adressierte. Besser, das nicht noch länger liegen zu lassen.
    Als sie einen Stapel Abrechnungen in einen leeren Ordner heftete, fiel ein Bündel Weihnachtskarten von der Tischecke und mit ihnen eine kleine hölzerne Schachtel. Sie war eindeutig von Joram geschnitzt. Auf dem Deckel befand sich ein Astloch, das deutlich schon einem Gesicht mit einem Augenzwinkern geähnelt hatte, ehe Joram mit ein paar einfachen Schnitten eine Weihnachtsmannmütze ergänzt hatte.
    Carly strich über das Holz, lächelte über das Augenzwinkern und öffnete den Deckel. In der Schachtel befand sich feiner Sand – und natürlich ein Zettel von Joram.
    „Das ist Reservestreusand für den Weihnachtsmann, wenn es am Nordpol so glatt ist, dass die Rentiere nicht richtig rennen und starten können. Der geht aber auch als Schlafsand, damit du weihnachtlich träumen kannst. Einen frohen vierten Advent, Fortsetzung folgt, Joram.“
    Carly stellte die Schachtel nebenan in das fast leere Bücherregal. Nach einer weiteren halben Stunde Postsortieren schmunzelte sie immer noch vor sich hin. Der Sand für den Weihnachtsmann hatte ihre Konzentration völlig aufgelöst. Sie dachte an Joram, an Rentiere, dann an Träume, und plötzlich wurde ihr erst wirklich klar, dass sie am Vortag tatsächlich auf einem Boot unterwegs gewesen war. Die Tage davor war sie mehrmals am Strand gewesen. Gestern war sie mit den anderen auf den Wellen und dem Wind geflogen. Sie war weit gekommen in den wenigen Tagen hier, auch wenn sie noch nicht schwimmen gewesen war! Auf einmal fühlte sie sich leicht: voller Triumph und Verblüffung über sich selbst, Dankbarkeit gegenüber Jakob und Orje und Thore, die ihr das alles ermöglicht hatten, und Glück über ihre neue Freiheit. Es hielt sie nicht mehr im Zimmer. Jorams rennende Rentiere weckten in ihr den Wunsch zu laufen.
    Der Übermut ließ sie wieder einmal ihre Schuhe vergessen. Aber wozu Schuhe, wenn es so warm war. Inzwischen war es Mittag, einer dieser windstillen Spätsommertage, die trotzig noch einmal alle Hitze des Sommers versammeln. Sie lief die Straße hinunter, rannte nun tatsächlich, weil der Asphalt so heiß war und dann wieder, weil das Rennen zu ihrer Stimmung passte. Es war so viel passiert; sie musste sich selbst einholen.

    Ein Rudel Fahrräder versperrte fast den engen Übergang zum Strand. Es würde unschön voll sein da unten, bei diesem Wetter, um diese Tageszeit. Carly bog nach rechts ab auf den grünen Weg unten am Deich entlang, der eingerahmt war von Sanddornbüschen, die schwer an ihren reifen Beeren trugen. Es duftete nach ihnen und nach Sonnenwärme auf Kiefern. Hier lief es sich angenehm, auf Gras und gefallenen Kiefernnadeln. Sie rannte weiter, weil es sich gut anfühlte und hier niemand war, der sie sah. Erst als sie außer Atem war, verließ sie den Weg, lief die Düne hinauf durch ein Birkenwäldchen

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