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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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die Arbeitsfläche aus aneinander gefügten Bohlen gefertigt war, von Wind und Wetter glatt geschliffen und von jahrelanger Sonne silbrig gefärbt. Der Grund, warum von den Papierstapeln keiner zu Boden gefallen war, war eine Art Zaun aus rund geschliffenen Treibholzstücken an der hinteren Kante und beiden Seiten. Nein, kein Zaun, eine Landschaft. Die geschwungenen Holzstücke wirkten wie sanfte Dünen, und in der linken hinteren Ecke ragte ein Ast auf, den Joram durch behutsames Schleifen und andeutungsweises Schnitzen in einen Leuchtturm verwandelt hatte. In der anderen Ecke hielt ein schalenförmig ausgehöhltes Holzstück Notizzettel. Daneben steckte in einem Astloch ein Füllfederhalter.
    Die Beine des Schreibtischs waren aus vier annähernd gleich dicken Stämmen, keiner davon war gerade, sondern jeder hatte eine charakteristische Note. Als Carly sich bückte, um sie zu untersuchen, entdeckte sie einen Zettel, der mit zwei Reißzwecken an die Unterseite der Platte geheftet war.
    „Der Schreibtisch ist das Herz eines Hauses. Am Schreibtisch begegnest du dir selbst viel mehr als vor einem Spiegel. Ich finde, dieser gehört hierher, und ich wünsche dir viele lebendige Stunden daran. Joram.“
    Bestimmt hatte Henny hier die meisten ihrer Briefe an Joram geschrieben, vielleicht auch ihre Bilder entworfen. Wahrscheinlich hatte sie auch hier gesessen und gegrübelt, was mit Joram geschehen war. Ob er einen Unfall gehabt hatte. Oder ob er sie einfach verlassen hatte, auf die eine oder andere Art.
    Carly kramte das Adressbuch aus ihrer Tasche. Es waren nicht sehr viele Adressen darin vermerkt. Sie fand die von Thore, die Telefonnummern von Synne und Daniel, der Buchhandlung und zwei Ärzten, die Adresse von Elisa.
    An das Alphabet hatte sich Henny nicht gehalten. Schließlich fand Carly, was sie suchte. Joram Grafunder hatte in Born in einer Straße namens „Am Mühlenberg“ gewohnt. Carly blickte auf die Uhr. Es war noch nicht einmal Mittag. Hier im Büro sah es jetzt recht anständig aus. Sie vermerkte den Schreibtisch unter „Möbel“ als letztes Stück auf der Liste, die sie für Elisa angelegt hatte. Die beiden Dünenlandschaften an den Wänden hatte sie schon unter „Bilder“ eingetragen. „Fertig“, sagte sie laut. Die Liste legte sie in den Flur unter die Vase mit dem Dahlienstrauß. Dann griff sie ihren Anorak, zog Turnschuhe an. Die Karte der Halbinsel hatte sie inzwischen im Kopf. Das Dorf Born lag nicht weit entfernt am Bodden.

    Heute wehte ein kühler Wind, der nach dem kommenden Herbst schmeckte. Ebenso kühl wirkte das weiße, streng würfelförmige Haus am Mühlenberg. Anders als die meisten Häuser in dem verschlafenen Ort, durch den Carly neugierig geradelt war, war das Dach nicht reetgedeckt, sondern aus glänzenden Ziegeln. Im Vorgarten lag wichtig ein englischer Rasen ohne Beete und ohne Gänseblümchen. Eine lange dünne Frau, die eine Schürze über einer Hose mit Bügelfalten trug, war damit beschäftigt, Tischdecken auf eine Leine zu hängen.
    Carly blieb zögernd am Gartentor stehen.
    „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte die Frau.
    „Guten Tag. Hat hier einmal ein Herr Joram Grafunder gewohnt?“
    „Ja. Rubinger. Ich bin die Hauseigentümerin. Sind Sie mit dem verwandt?“
    „Nein. Ich kümmere mich um den Nachlass seiner Freundin. Ich habe alte Briefe gefunden und weiß nicht, ob ich sie entsorgen soll. Wissen Sie, wo er sich aufhält?“
    „Er ist im letzten Herbst verschwunden. Ich wüsste auch gerne, wo er sich aufhält. Er schuldet mir noch Mieten. Aber ich nehme an, er liegt auf dem Grund des Meeres oder jemand hat ihn irgendwo verscharrt. Besonders umgänglich war er nicht, wissen Sie. Freunde schien er auch nicht zu haben. Nur diese Frau, von der er Briefe bekam. Bandin oder so ähnlich.“
    „Henny Badonin. Was ist mit seiner Wohnung?“
    „Vielleicht ist er ja auch einer dieser Mietnomaden. Der Polizei war er allerdings nicht bekannt. Ich habe die Wohnung wieder vermietet, nachdem sie drei Monate leer stand und kein Geld mehr einging. Aber Sie kommen mir gerade recht. Herr Grafunder hatte kaum Sachen, nur eine alte Matratze, die ich entsorgt habe, einen sehr schönen Holztisch und dann dieser vollgestopfte Seesack. Den können Sie mitnehmen, ich möchte ihn endlich loswerden, steht mir nur im Weg rum. Die Polizei hat ihn schon durchsucht. Verwandte hat der Grafunder ja nicht, sagt die Polizei. Kommen Sie rein.“
    Carly folgte ihr einen schnurgeraden Weg

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