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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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entlang.
    „Hat die Polizei sonst noch etwas gesagt?“
    „Nein. Der ist als vermisst gemeldet und fertig. Das interessiert die nicht weiter. Denen schuldet er ja kein Geld!“
    Sie ließ Carly in einem sehr sauberen Flur stehen und verschwand im Keller, wo es rumpelte. Kurz darauf tauchte sie mit einem riesigen, weniger sauberen Seesack auf, den sie Carly hastig in die Arme legte.
    „Vielleicht taucht der Grafunder ja irgendwann bei Ihnen auf. Dann können Sie ihm sagen, wenn er die ausstehende Miete bezahlt, kann er seinen Tisch wiederhaben. So lange behalte ich den als Entschädigung.“
    „Kann ich diesen Tisch mal sehen?“
    „Wenn es sein muss.“ Ungnädig öffnete die Frau eine Tür und gestattete Carly einen kurzen Blick in ein Wohnzimmer, in dem der Holztisch das einzig attraktive Stück war. Seine Platte war unregelmäßig geformt und wurde von einem Fuß getragen, der aus einer einzigen komplizierteren Wurzel bestand. Carly spürte sofort den Wunsch, das Stück mit nach Naurulokki zu nehmen. Hier gehörte er ganz sicher nicht hin. Vielleicht konnte sie wenigstens Elisa dafür interessieren. Aber es bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass Joram wiederkam.
    „Können Sie mir bitte noch sagen, wo ich die zuständige Polizei finde?“
    „Prerow. Hafenstraße. Auf Wiedersehen!“
    Carly war sich nicht sicher, worüber sich Frau Rubinger mehr freute: den Seesack loszuwerden oder Carly. Nach mehreren Fehlversuchen schaffte sie es, den schweren Sack quer auf den Gepäckträger zu wuchten.
    Vorsichtig radelte sie Richtung Prerow.
    „Nein, wir haben keine neue Spur im Fall Grafunder“, gab ein freundlicher Polizist ihr dort Auskunft. Im Gegensatz zu Frau Rubinger schien er erfreut, sie zu sehen. Offenbar war sie eine willkommene Abwechslung zu seinem Sudoku-Rätsel.
    „Es ist eine Postkarte vom November angekommen, die er aus Skagen geschickt hat. Vielleicht hilft diese Information weiter.“
    Er fischte eine verstaubte Akte aus einem Schrank und notierte etwas darin.
    „Unsere Kollegen in Dänemark sind ohnehin informiert“, sagte er. „Es war bekannt, dass er die Absicht geäußert hatte, dorthin zu reisen. Außerdem hat er kurz vor seinem Verschwinden einen größeren Betrag von seinem Konto abgehoben. Das darf ich Ihnen eigentlich nicht erzählen, aber ich habe die Frau Badonin gut gekannt, und ... sie tat mir leid. Sie war so unglücklich wegen dem Herrn Grafunder. Wenn man nicht weiß, was passiert ist, damit werden die Leute nicht fertig. Ich habe ihr immer alles gesagt, was wir wussten, aber es ist eben nicht viel.“
    „Was glauben Sie persönlich, was geschehen ist?“
    „Bonbon?“ Er hielt ihr er eine Schale hin. „Nun, er war ein Sonderling. Blieb nirgends lange. Hatte keine Anstellung, war freischaffender Künstler. Man weiß ja, wie die sind. Ich denke, er ist irgendwo unterwegs. Hat vielleicht einfach vergessen, dass er zurückkommen wollte. Wenn er das überhaupt wollte. Natürlich kann auch ein Unfall passiert sein. Oder ein Raubüberfall. Aber dann gibt es meist eine Leiche. Die meisten, die als vermisst gemeldet wurden, sind irgendwann wieder aufgetaucht.“
    Auf dem Weg nach Hause musste Carly fünfmal anhalten, weil der sperrige Sack vom Fahrrad rutschte.
    Joram hatte also eine größere Summe abgehoben. Das tut man nicht, wenn man Selbstmord begehen möchte. Oder wollte er damit nur bis nach Dänemark kommen und dann dort ...
    Sollte sie den Seesack auspacken? Zu gern hätte sie gewusst, was darin war. Vielleicht auch ein Hinweis. Doch es kam ihr nicht richtig vor. Wenn Joram noch lebte, und sie kramte hier in seinen Privatsachen? Sie war ja nicht einmal mit ihm verwandt.
    So stellte sie den Sack erst einmal ins Büro. Sie konnte jedoch nicht ganz widerstehen, löste die Schnur ein wenig, die die Öffnung verschloss, und schnupperte hinein. Im Inneren roch es entfernt nach Holz, Leder und dem Aftershave, dessen Duft auch an dem Pullover in Hennys Zimmer haftete. An der Schnur hatte sich ein graubraunes, leicht lockiges Haar verfangen, bei dessen Anblick Carly die Augen feucht wurden, weil Joram dadurch plötzlich noch gegenwärtiger schien als ohnehin.

    Der Wind hatte nachgelassen, die Sonne kämpfte sich durch die Schleier und warf warmes Spätsommernachmittagslicht in den Garten. Es war noch Zeit genug für eine weitere kleine Radtour. „Frag Flömer“, hatte Daniel gesagt.
    Jetzt, da der Seesack in der Ecke stand, als hätte Joram ihn persönlich dort gerade

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