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Das Meer in deinen Augen

Das Meer in deinen Augen

Titel: Das Meer in deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Tage waren einfach so verstrichen. Nur die Zweifel und Fragen hatten ihn ständig angegriffen. Sie hatten nicht zugelassen, dass er sich verteidigte. Hilflos war er, weil er nichts – aber auch gar nichts – an den Dingen ändern konnte. Beim ersten Schlag auf Falks Sandsackhandschuhe spürte er, dass er wieder stärker wurde. Es war Finns Idee gewesen, nach dem Training an den Geräten mit Falk in den Ring zu steigen. »Jetzt bist du dran«, hatte er Benjamin überrascht, der zunächst nur hatte zusehen wollen.
    »Fester. Komm schon, fester.« Während er sich noch zurückhalten wollte, schnellte seine Faust wieder nach vorne und brachte Falk für einen Moment aus der Fassung.
    »Weiter, komm. Der war gut.« Benjamin schaute nur kurz in Falks Augen, ehe er sich erneut auf sein Ziel fokussierte. Diesmal war sein Gegenüber besser vorbereitet, aber Benjamin setzte nach, platzierte den nächsten Schlag, den nächsten und bearbeitete ihn so mit dem ganzen Elan, der in ihm neu entfacht war. Erst als Falk einen Schritt zurück machte und Benjamin ins Leere schlagen ließ, verließ er den Tunnel wieder. »Mach ’ne kurze Pause. Finn ist wieder dran.« Benjamin schüttelte den Kopf, um den Schwindel zu vertreiben. Benommen ließ er sich auf den Hocker in der Ringecke fallen und warf sich das Handtuch in den Nacken. Erst als die Muskeln wieder entspannten und er an sich herunter auf die Fäuste schaute, die er im Schoß noch geballt hatte, konnte er wieder einen klaren Gedanken fassen. Das war Wut. Woher kam sie? Er wusste nur, dass sie ihn wieder stark machte. Finn war langsamer als er, nicht so flink, dafür saß jeder Schlag umso fester und platzierter, sodass Falk immer wieder zurückweichen musste. Sein unbändiger Wille war jedem neuen Vorstoß anzumerken. Auf einmal gestand sich Benjamin ein, wie lange er seinen Freund unterschätzt hatte. Vielleicht war Finn nicht besonders schlau, niemand, der besonders viel Gedanken verschwendete – doch in ihm steckte der Glaube, dass es morgen immer weitergehen musste, und das ließ Benjamin wissen, dass er sich auf ihn verlassen konnte. Er war dankbar für ihre Freundschaft.
    Es dämmerte draußen schon, als sie mit gepackten Taschen an der Tür standen. Die Sonne warf ihr rotes Licht über die Blocks auf der anderen Seite. Finn begutachtete die großen Boxen mit Eiweißpräparaten, die im Regal sorgfältig sortiert aufgereiht waren.
    »Hilft das eigentlich?«
    Falk zuckte mit den Schultern. »Bisschen was bringt das, aber wer wirklich richtig was merken will, nimmt was anderes.« Finn stellte die Dose zurück, als zwei Männer mit breitem Kreuz und hervortretenden Adern das Studio betraten.
    »Hey, Jungs.« Falk schlug mit ihnen ein.
    »Wir gehen am Samstag zum Fußball. Seid ihr dabei?« Benjamin schaute zu Finn rüber, der kurz zögerte, ehe er für sie beide antwortete: »Warum nicht, war früher immer geil.«
    »Das sind die Freunde von meinem kleinen Bruder«, stellte Falk sie nachträglich vor. Die Männer nickten nur. Der eine kaute auf einem Kaugummi, so als wollte er auch seine Kiefermuskeln trainieren. »Scheißsache, Mann«, murmelte der andere nach einer Weile. Sein Händedruck war fest. »Also, seid ihr dabei?«, fragte Falk nach.
    »Meinst du nicht, dass die ein bisschen zu jung sind«, murmelte hinter ihm einer der Typen.
    »Ah, das geht schon klar. Die sind keine Kinder mehr«, widersprach Falk.
    »Wenn du meinst.«
    »Also?«, wandte er sich wieder an sie.
    »Wir sind dabei«, antwortete Finn für sie. Benjamin schloss den Mund wieder. War doch egal, was er seinem Vater versprochen hatte.
    Am Bahnhof trennten sich ihre Wege. »Das war gut, Benny.« Finn schaute ihm in die Augen, als müsste er ihn ganz genau prüfen. »Fand ich auch«, antwortete Benjamin hastig und wich diesmal dem Blick aus, indem er ihn kurz umarmte und auf die Schulter klopfte.
    Die Linie 2 hielt, und Benjamin stieg hinten ein. Er hatte vergessen, eine Karte zu lösen. Was machte es schon aus? Der Wagen war leer. Es war einer von diesen ganz alten, die bestimmt schon seit vierzig Jahren fuhren. Nur ein Mädchen saß ganz hinten. Emma. Wie in der Kirche. Aber sie schaute nur zum Fenster raus. Scheinbar hatte sie ihn noch nicht bemerkt. Trotzdem fühlte er sich unbehaglich. Sollte er wieder aussteigen? Die Türen schlossen sich. Zu spät. Die Straßenbahn setzte sich quietschend und ruckelnd in Bewegung. Nächster Halt: Marienplatz , tönte die automatische Frauenstimme. Alle Plätze

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