Das Meer in deinen Augen
schaute zu dem Mann auf. Er schien etwas verdutzt über diesen Blick und runzelte die Stirn. Aber wieder hatte er es eilig. Er verschwand im Gedränge. Während sie ihm nachschaute, entdeckte Emma ihn. Da stand Luka, zwischen den Gruppen shoppender Mädchen und den Müttern, die mit ihren Kindern Badesachen kauften. Seine Haare, seine Figur. Von hinten sah er ihm so verdammt ähnlich. Er musste sich nur noch umdrehen. Jetzt tat er es. Aber er war es nicht. Eine Brille und eine spitze Nase. Blaue Augen. Für einen Moment war sie sich ganz sicher gewesen. So verblasst war ihre Erinnerung also, dass sie ihn schon verwechselte. Emma atmete tief ein und widmete sich wieder dem nächsten Kunden, der schon ungeduldig wartete.
»Was nimmst du?« Das blonde Mädchen wandte sich zu ihrer Freundin um.
»Orangensaft und so einen Cookie.«
»Dann nehm ich das Gleiche.«
»Also zweimal Orangensaft und zwei Cookies«, bestellte sie für beide zusammen und lächelte, ein bisschen so, als sei sie stolz, beides zusammengerechnet zu haben.
»Welche Cookies wollt ihr?« Emma sprach die Worte aus wie ein Automat. Es war, als stünde sie neben sich. Das Mädchen mit dem Polohemd und der Kappe tat die einstudierten Dinge ganz von alleine. Jede andere könnte hier stehen. Aber es war sie. Emma Werner. Auf dem Namensschild stand nur Emma. Kein Kunde hatte sie bisher mit ihrem Namen angesprochen. Nur solche, die ihre Handynummer haben wollten und es lustig fanden, wenn sie so taten, als kannten sie sie bereits. »Macadamia-Nuss.« Saftmaschine bedienen. Cookies auf einen Teller legen. In die Kasse eingeben. »Das ist doch das Mädchen, das ihren Freund verloren hat, oder? Hat mir Romina neulich erzählt. Richtig krass.« Emma hörte ganz genau, was die beiden tuschelten. Aber sie beherrschte sich. Sie konnte das. Alles einfach abprallen lassen. Das hatte sie früher doch auch geschafft. Immerhin kannte sie die beiden doch überhaupt nicht. Es musste ihr also gar nichts ausmachen, was die beiden über sie erzählten.
»Hey, bist du diese … diese Emma?«, fragte die Blonde. Emma nickte nicht einmal. Sie stellte nur die Cookies vor ihnen ab. Die Saftpresse piepte. »Euer Saft kommt sofort«, entgegnete sie statt einer Antwort.
»Du bist das wirklich, oder? Scheiße, das tut mir so leid.« Emma hatte den Mädchen noch den Rücken zugewandt und hielt beide Gläser in der Hand. Plötzlich funktionierte nichts mehr automatisch. Ihre Hände lösten sich einfach. Die Gläser fielen. Es klirrte.
»Sorry. Das war unsere Schuld.« Emma drehte sich nicht um, sie war wie gelähmt. Sie stand vor einem Scherbenhaufen, in einer Pfütze klebrigem Orangensaft.
»Was ist denn hier passiert?« Ihr Chef war vom anderen Ende der Theke gekommen. Emma erwiderte seinen Blick nicht.
»Scheiße, Emma. Du weißt, dass das auf deine Rechnung geht.«
»Ist schon okay. Wir zahlen das«, meldete sich das andere Mädchen, das vorhin noch getuschelt hatte.
»Wann geht’s denn hier mal weiter?«, rief ein Kunde, der weiter hinten in der Schlage wartete.
»Es ist ja nicht das erste Mal. Du solltest dich zusammenreißen …«, raunte ihr Chef ihr zu, während er ein frisches Glas Saft mit einem breiten Lächeln servierte. Emma stand mit dem Rücken zur Theke. Sie holte tief Luft und schloss die Augen, um die Fassung zu bewahren.
»Worauf wartest du? Meinst du, der Boden wischt sich von alleine?«, wandte er sich erneut an sie.
Luka war fort. Er würde nicht noch einmal am Feierabend auf sie warten. Er würde nirgendwo auftauchen, egal wie oft ihre Einbildung ihr das vorspielte. Alles andere blieb wie immer. Die verdammte Arbeit, die ungeduldigen Kunden, ihr Chef, den nicht mehr interessierte als der Kassenstand. Kaum hatte Emma diese Wahrheit erkannt, setzte sie die Mütze ab. Dann ließ sie einfach alles stehen und ging. »Wohin willst du? Du hast noch zwei Stunden Dienst.« Die Blicke folgten ihr, aber sie schaute sich nicht ein Mal um. Emma hielt nicht an. Sie entfernte sich immer weiter von dem Café, als müsste sie so viel Abstand gewinnen wie nur möglich. Zwei kleine Mädchen stießen sie an, weil sie nur auf ihre Handys stierten. Erst am Ende der Etage blieb sie stehen. Als sie hochschaute, sah sie das Gewirr aus stampfenden Rolltreppen, die sich kreuzten und Menschen rauf und runter transportierten. Es herrschte ein reges Treiben in der Passage. Absätze klapperten. In einem Fastfood-Restaurant brodelte die Fritteuse. Geschirr klapperte. Der Kellner
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