Das Meer in deinen Augen
Bluterguss andeutete.
»Du willst so schnell nicht sterben, oder?«, bemerkte er lächelnd.
»Sei bloß ruhig«, raunte sein Gegenüber.
Eine Weile schwiegen sie gemeinsam, dann öffnete Benjamin den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Er hielt seine Frage doch für zu direkt.
»Ja?«, fragte sein Großvater nach.
»Nichts. Schon gut.«
»Na sag schon.«
»Hast du manchmal Angst …« Er zögerte, es auszusprechen. »Angst zu sterben.«
Die kleinen grau-blauen Augen wurden schmaler und gruben die Krähenfüße etwas tiefer.
»Manchmal«, fing er an. Ehe er fortfuhr, entfuhr ihm ein kurzer trockener Husten. »Ich hatte schon als Kind eine höllische Angst davor. Jetzt kann ich wohl nicht weiter davonlaufen. Aber ich bin zäh. Glaub mir, so einfach kriegen die mich nicht.« Ein bitteres Grinsen legte sich auf seine schmalen Lippen. Benjamin musste schmunzeln, obwohl er sich nicht sicher war, ob es ihn tatsächlich amüsierte. Er wollte wissen, was ihm damals widerfahren war. Benjamin legte sich gerade eine Frage zurecht, als er ihm zuvorkam.
»Es ist heiß, sieh nach, ob du noch etwas Bier im Kühlschrank findest.«
Benjamin nickte. Er wusste, dass damit das Gespräch vorbei war. Er beeilte sich nicht auf der Suche nach dem Bier. Lange blieb er vor dem Kühlschrank stehen und starrte die zwei Bierdosen an, während das alte Kühlaggregat laut arbeitete. Schließlich griff er doch nach den zwei Dosen und kehrte auf die Terrasse zurück, wo er beide öffnete. Gemeinsam tranken sie das Bier und bewunderten stumm die glitzernde Nässe, die nichts von dem Sturm vermuten ließ, der gestern getobt hatte.
»Danke«, knurrte der alte Mann schließlich. Benjamin musste sich nach ihm umsehen, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht verhört hatte.
»Wofür?«
»Dass du kommst«, stellte er lapidar fest.
»Ich weiß nicht, was ich sonst tun könnte.«
»Lass mich raten. Dein Vater hatte vor, irgendeinen Altenpfleger zu schicken?«
»Ich glaube, er hätte dich am liebsten im Heim gesehen.«
Sein Großvater lachte. »Na, klar. Ich im Heim. Kannst du dir das vorstellen?«
»Schätze, die hätten ihre Schwierigkeiten mit dir.«
»Dafür würde ich schon sorgen«, witzelte er weiter, trank das Bier aus und stellte die leere Dose auf die Fensterbank. »Nein, ich bleibe hier. Das hätte sie so gewollt. Ich muss auf ihre Blumen achtgeben.« Benjamin verstand sofort, von wem er sprach. Die Blüten leuchteten satt und kräftig.
Die Sonne senkte sich mittlerweile über den Lauben der angrenzenden Schrebergartenkolonie. Benjamin entschied, dass es Zeit war, aufzubrechen. Er baute das Gewehr vorher wieder zusammen und verstaute es in einer Holzkiste am Boden des Kleiderschranks, wie sein Großvater ihm aufgetragen hatte.
Während er durch den Vorgarten ging, grübelte er noch, ob es eine gute Idee gewesen war, die Waffe wieder in Griffweite zu lagern. Andererseits fiel ihm nicht ein, was Gefährliches passieren konnte.
Benjamin hatte den Helm schon auf dem Kopf, als er das Mädchen im Nachbargarten bemerkte. Emma. Das feingelockte Haar wehte leicht im Wind, und es war, als hätte er völlig vergessen, dass er gerade hatte aufbrechen wollen. »Hi«, rutschte es ihm heraus.
Erst jetzt bemerkte auch sie ihn, schien ihn aber nicht gleich zu erkennen, bis sie genauer hinsah. Hastig setzte er den Helm wieder ab. »Hi«, entgegnete sie zögerlich und blieb jetzt wie angewurzelt stehen.
»Ich wusste gar nicht, dass sie deine Oma ist«, fing er wieder an, als es viel zu lange still geblieben war.
»Ich hab dich auch noch nie hier gesehen.« Mit dem Kopf deutete sie zum Haus.
»Und? Wie kommst du klar?«
»Ich schaff das schon. Du?«
»Geht ja irgendwie alles weiter … aber ich will eigentlich nur stehen bleiben.«
»Machen wir ja gerade …«
Benjamin schaute an sich herunter. Da stand er wie gelähmt. Mit dem Helm in der einen Hand, die andere am Lenker. »Soll ich dich nach Hause fahren?«
»Ist schon okay, ich nehm die Bahn.« Sie ging vor durch die Gartentür. Benjamin schob seinen Roller durch das Tor. Jetzt standen sie sich auf dem Gehweg gegenüber.
»Okay. Dann … sehen wir uns wieder?«
»Ich weiß nicht. Sag du.« Sie drehte eine ihrer Haarsträhnen zwischen den Fingern hin und her und senkte den Blick immer wieder kurz auf den Boden, ehe es ihm gelang, ihn einzufangen.
»Ich hab morgen noch nichts vor. Wir könnten auf ein Eis oder Kaffee … was essen gehen vielleicht?«
»Klar. Und wo?« Die
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