Das Meer in deinen Augen
verstanden?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er in der Garage. Als der Holzberg bis zur Decke des Unterstands reichte, legte Benjamin die Axt beiseite und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Eigentlich hatte er keine besondere Lust, seinem Großvater Hilfe anzubieten. Er würde sich ohnehin nicht helfen lassen. Aber was sollte er hier schon machen. Seine Schwester lag mit Franzi auf den Sonnenliegen. Beide starrten sie ihn skeptisch an.
»Guten Tag«, grüßte die alte Dame, die im Nachbargarten das Unkraut jätete, als Benjamin die quietschende Pforte öffnete. Manchmal fragte sich Benjamin, wie diese Frau im Alter so eine Freude ausstrahlen konnte, während sein Opa der Missmut in Person war. »Guten Tag«, erwiderte Benjamin den Gruß. »Richten Sie ihrem Großvater schöne Grüße aus.«
»Mach ich.« Er war sich nicht sicher, ob das eine kluge Idee war.
» Was willst du denn hier?«, wurde Benjamin schrof f begrüßt. Der alte Mann starrte ihn misstrauisch an. E r war groß, so groß, dass sein Gesicht im Schatten des Türrahmens lag. Seine stahlblauen Augen erkannte Benjamin wieder, wenn er in den Spiegel schaute.
»Papa schickt mich. Meinte, du könntest Hilfe gebrauchen.«
Opa verschluckte ein bitteres Lachen und humpelte vorweg durch den Flur. Das rechte Bein war geschient. Trotzdem bewegte er sich noch ziemlich schnell. Etwas verdutzt blieb Benjamin in der offenen Tür stehen.
»Wenn das so ist, kannst du gleich wieder abhauen«, raunte sein Großvater aus der Küche, in der er verschwunden war.
Benjamin schwieg lieber. Vielleicht könnte er sich tatsächlich nach fünf Minuten wieder verziehen und sich weiteren Ärger ersparen. Er setzte einen Fuß auf die ächzenden Dielen. Der Flur war dunkel wie das ganze Haus. So war das immer seit Omas Tod. Seitdem schien Opa keine Lampe mehr einschalten zu wollen. Zumindest hatte Benjamin den Eindruck, wenn er ihm einen der seltenen Besuche abstattete.
»Also, was willst du wirklich hier?«
Sein Großvater hatte sich auf einem der Stühle niedergelassen, ohne Benjamin einen anzubieten. Auf dem Tisch lag die WELT . Aufgeschlagen war der Sportteil. Seine Hände krallten sich geradezu an die Armlehnen. Kräftig waren sie noch, genau wie seine Arme. Das letzte Mal, als Benjamin zu Besuch gewesen war, hatte er noch einen Baum im Garten gefällt. Wahrscheinlich musste es frustrierend für ihn sein, zu wissen, dass sein Körper solche Anstrengungen nicht mehr lange mitmachen würde. Benjamin antwortete nicht gleich, sondern schaute sich um. Alles sah noch aus wie damals, als Oma noch lebte. Viele Erinnerungen hatte er nicht mehr. Aber die Kuchenformen standen immer noch nebeneinander, der Größe nach aufgereiht. Omas Kuchen hatten ihm immer geschmeckt. Wie alt war er damals gewesen? Er erinnerte sich nicht mehr genau, aber es war schon eine halbe Ewigkeit her.
»Ich sag doch. Ich soll nach dir sehen«, entgegnete er abwesend, während er den Blick weiter durch den Raum schweifen ließ.
»Ich bin doch kein kleines Kind.« Opa schnaubte durch die Nase und setzte ein zynisches Lächeln auf. »In deinem Alter hatte ich Besseres zu tun, als alte Menschen zu besuchen. Geh doch raus, es ist Sommer.«
»Mein Sommer war dieses Jahr nicht so toll.«
»Hab gehört, dass es da einen Vorfall gab«, entgegnete sein Großvater kühl und tippte mit seinen Fingern auf der Armlehne herum. Benjamin hatte nichts anderes erwartet.
»Hattest du Besuch?« Benjamin waren die frisch geschnittenen Blumen aufgefallen, die in einer Vase standen und in dem schwachen Licht schimmerten, das durch die Bäume im Vorgarten in die Küche fiel. »Meine Nachbarin.« Er wirkte empört. »Was denkt sie sich?«
Benjamin musste ein wenig schmunzeln. »Ich soll dir Grüße ausrichten.«
»Ach, hör mir auf.« Der alte Mann erhob sich. Es kostete ihn sichtlich Mühe. Er biss die Zähne zusammen, bis er gerade stand und seinen Stock wieder in der Hand hielt. »Wenn du schon hier bist, kannst du dich vielleicht wirklich nützlich machen.«
Benjamin folgte seinem Großvater in den Keller. Eine schmale Steintreppe mit glatten Stufen führte hinunter. Nur eine kleine Birne erhellte den Weg. Mit Sorge sah er dem alten Mann zu, wie er Stufe für Stufe hinunterhumpelte. Ächzend kam er unten an und blickte sich zu seinem Enkel um. »Kommst du?« Mit einem Kopfnicken bedeutete er Benjamin, ihm weiter zu folgen.
Der nächste Raum war die Garage, die gleichzeitig als kleine Werkstatt diente.
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