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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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Ruth habe ich ein Foto aus dieser Zeit, das ursprünglich in der Kajüte hing: eine dürre Person in männlicher Arbeitskleidung, mit kurzem dunklem Haar, das sich wie ein Käppchen um ihren runden Schädel schmiegt. In der Linken hält sie eine Schaufel, das rechte Bein hat sie angewinkelt auf eine Kiste gestellt, breit grinst sie in die Kamera. »Mein Goldgräberfoto« hat sie es genannt und jedem, der sie danach fragte, eine andere Geschichte über seine Entstehung erzählt. Sie hat auf dem Bild etwas Leuchtendes, strahlt eine unbezwingbare Energie aus. Sie muss den Fotografen gemocht haben.
    Allerhand Gerüchte über sie machten im Dorf die Runde, an deren Wahrheitsgehalt man zweifeln konnte oder nicht, je nachdem, wie man veranlagt war. Aus Ruth selbst waren meistens nur Andeutungen herauszubringen, sie machte sich einen Spaß aus dem Raunen im Dorf, befeuerte es gelegentlich
sogar mit spitzen Bemerkungen, aber nie ohne grinsend darauf hinzuweisen, dass sie inzwischen alt, ruhig und anständig geworden sei, wie jeder wisse. Elisabeth hat nie viel dazu gesagt. Betrachtet man die alten Fotos, glaubt man, sie hätte Eroberungen machen können und Ehefrauen um ihren inneren Frieden bringen, schön wie sie gewesen ist, aber ihr hat angeblich nach einer traurigen Liebe in den frühen Jugendjahren nur noch der kränkliche, deutlich ältere Ehemann ins Haar gefasst.
    Elisabeth wäre nach dem Tod ihres Mannes in der Lage gewesen, komfortabel im Witwenstand zu leben, doch sie zog es vor, das Wiener Umland hinter sich zu lassen, koste es, was es wolle, und sei es einen Großteil ihres Erbes. Das Angebot einer selbständigen Frau, sich an einem Projekt zu beteiligen, das ihr vom ersten Tag an gefallen hatte, kam ihr mehr als gelegen. Sie löste ihren Hausstand auf und zog an die Ostsee, zum Entsetzen der anderen von Kroix’s, die freiherrlichen Grund und Boden an einen Amerikaner veräußert sahen, das Ferienhaus am Mittelmeer eingeschlossen.
    Â»Gute Entscheidung!«, pflegte Ruth an dieser Stelle zu kommentieren.
    Â»Sehr gute Entscheidung!«, war Elisabeths stete Antwort.
    Wenn die beiden von ihren Anfängen erzählten, war es leicht, sie und das Haus lieb zu gewinnen, ihre Aufbauarbeit, das Jahrzehnte währende Durchhalten zu bewundern und an eine nahezu lebenslange Freundschaft zu glauben, die auch von der gemeinsamen Führung eines Geschäftsbetriebs nicht zerstört werden konnte.
    Einiges davon klang verdächtig nach selbstgestrickter Legende, aber das kümmerte mich wenig.

    Â 
    Die Wohnräume der Hausherrinnen, die ich von Elisabeth bei unserer Führung gezeigt bekam, konnte man kaum als solche bezeichnen: zwei nebeneinanderliegende Kammern im oberen Stock, durch eine kleine Teeküche verbunden, in der selten etwas zubereitet wurde. Bett, Schrank, Schreibpult, Fenster nach hinten zum Deich, kaum zehn Quadratmeter, bei Elisabeth üppig mit Sachen und Bildern bestückt, bei Ruth mit der Kargheit einer Klosterzelle eingerichtet, die mich ahnen ließ, wem die Ordnung im Büro hinter der Rezeption zu verdanken war. Beide Zimmer, so unähnlich sie einander auch waren, hatten nichts, das dafür sprach, sich lange in ihnen aufzuhalten, aber der Ausdruck »Freizeit« brachte beide ohnehin zum Lachen. Sie betrachteten das gesamte Palau als ihren Wohnraum. Wenn sie an Sonntagabenden nicht in der Kajüte hängen blieben, saßen sie im Winter gelegentlich, mit oder ohne Hausgäste, im Fernsehzimmer, schauten Quizsendungen oder Tierdokumentationen, später mit Begeisterung auch die Filme, die ich anschleppte. An Sommerabenden waren sie draußen mit Gästen zugange oder, wenn niemand auf Unterhaltung wartete und die Küche schon dichtgemacht hatte, mit Reparatur- oder Handarbeiten beschäftigt, wovon ich ausgesprochen profitierte, obwohl ich ebenso konsequent wie vergeblich handwerkliche oder hauswirtschaftliche Begabungen von mir wies.
    Â»Ich kann das nicht, gibt es nicht!«, bekam ich zu hören. »Du fängst sofort an zu üben!« Ich übte also und lernte im Lauf der Zeit, Socken zu stopfen, Fahrradschläuche zu flicken, Knöpfe ordentlich wieder anzunähen, Schuhe auf Hochglanz zu polieren, gedeckten Apfelkuchen zu backen, ein brauchbares Feuer anzufachen, den Transporter rückwärts in die Garage zu setzen, Marmelade zu kochen, Türschlösser auszuwechseln,

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