Das Meer in Gold und Grau
Betten
anständig herzurichten, Heizungsventile zu erneuern, ein Bier mit fester Schaumkrone zu zapfen, Omelette mit Speck zuzubereiten, hemmungslos in Tränen auszubrechen, einen Mann zum Teufel zu jagen.
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»Mist, verfluchter!«
Elisabeth war gerade dabei, mir als Schlusspunkt unserer Führung die alte Schuhputzmaschine im ersten Stock vorzuführen, als ein Schwall übelster Schimpfwörter durch den oberen Gang dröhnte, der Elisabeth, mir unerklärlich, zum Lachen brachte: »Da ist sie ja wieder. Es geht ihr besser.«
Als wir dem Geschimpfe nachgegangen waren, fanden wir Ruth, wie sie auf dem Schreibtischstuhl in Zimmer acht stand, eine Glühbirne in der Hand und den verfinsterten Blick auf die Deckenlampe gerichtet. »Jetzt muss ich die scheiÃschwere Leiter aus dem Keller raufholen, verdammt noch mal!«
»Soll ich es versuchen?«, rutschte es mir heraus, und ich beeilte mich hinzuzufügen: »Nur weil ich etwas gröÃer bin als Sie, und das hat ja nichts mit dem Alter zu tun.«
Ruth schnaufte, verzog den Mund zu einem Grinsen und stieg ächzend vom Stuhl. Mit einer feierlichen Verneigung wies sie auf die frei gewordene Sitzfläche: »Bitte sehr. Ich assistiere.«
Möglichst nicht allzu behände stieg ich hoch, kam mit etwas Mühe an die Fassung, drehte die alte Birne heraus, nahm von Ruth eine neue entgegen und schraubte sie ein.
»Groà ist sie, deine Nichte, das kann man wohl sagen!«, meinte Elisabeth, zufrieden von einer zur anderen lächelnd.
»Körperlich, meine Liebe, das ist rein körperlich«, entgegnete Ruth.
»Im Alter schrumpft man. Das ist wissenschaftlich erwiesen!«
»So klein wie wir wird die aber nie.«
»Wollen Sie mal testweise anmachen?«, fragte ich, weil ich noch immer auf dem Stuhl stand und zu den beiden herabblickte, die in Gelächter ausgebrochen waren. Ruth ging in Richtung Lichtschalter. Auf halbem Weg blieb sie stehen, wandte sich um und fragte: »Lizzy, hat sie zu dir auch Sie gesagt?« Elisabeth zuckte mit den Schultern: »Weià nicht.« Ruth musste den Kopf in den Nacken legen, um mich ansehen zu können: »Egal wie groà du bist, Fräulein, wenn du mich noch einmal siezt, kannst du was erleben!«
»Ich tue es nie wieder!«
»Das ist brav!«
»Darauf trinken wir aber!«, sagte Elisabeth, während Ruth das Licht an- und wieder ausschaltete.
»Funktioniert! Du kannst dich bei uns nützlich machen, und wir müssen nicht über Familien- oder sonstige Preise sprechen. Einverstanden?«
»Einverstanden!«
Ich stieg glücklich wieder vom Stuhl, als hätte ich soeben eine Prüfung gemeistert, und verlieà hinter ihnen das Zimmer, wobei Ruth über die Schulter auf meine FüÃe blickte und schnauzte: »Und beim nächsten Mal ziehst du die Schuhe aus, bevor du aufs Polster steigst, klar?«
Ein Zwinkern Elisabeths bewahrte mich davor, die Hand zum militärischen Gruà an die Stirn zu führen.
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Erträglich wurden Ruths Launen dadurch, dass sie nicht nachtragend war. Sie explodierte oft und schnell, aber vorbei war dann auch vorbei. Mit Entschuldigungen hielt sie sich nicht groà auf. Dass sie wieder freundlich zu einem war, musste genügen, um zum Alltagsgeschäft zurückzukehren. »Bist
du noch böse?« war die falsche Frage und hatte einen neuen Ausbruch zur Folge, egal ob Ruth noch, oder wegen der Frage schon wieder, wütend war. Elisabeth hatte die Kunst, mit Ruths Launen auszukommen, zur Vollkommenheit gebracht: Sie nahm sie zur Kenntnis, sich aber nicht zu Herzen, blieb gelassen bei der Tagesordnung, bedachte Gäste oder Mitarbeiter, die Opfer einer Schimpfattacke geworden waren, mit einer extra Portion Freundlichkeit und schien die Sache sofort vergessen zu haben, sobald Ruth wieder besserer Stimmung war.
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Nach dem Glühbirnenwechsel machte Ruth mit der Führung weiter, als wäre nichts gewesen, zeigte Räume noch einmal, in die mich Elisabeth bereits geführt hatte, was aber keine von uns mit einem Wort erwähnte. Als die Schuhputzmaschine zu ihrer zweiten Vorstellung rappelte, strich mir Elisabeth von Ruth unbemerkt über die Wange und flüsterte: »Es freut mich sehr, dass du gekommen bist!«
»Nur für zwischendurch«, sagte Ruth und ich brauchte einige Sekunden, um zu kapieren, dass sie von der Maschine sprach. »Bei uns können die
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