Das Meer in Gold und Grau
Zigaretten und Aschenbecher, eine Zigarre für Sergej und eine für den Doc. Elisabeth ist stolz auf ihren Humidor, pflegt ihn mit Politur, wischt täglich den Staub vom Wurzelholz, freut sich, wenn ein Gast den Finger auf der Rubrik Rauchwerk am Ende der Speisekarte halten lässt und sie ihn zu dem hübschen Kasten führen kann. Sind viele Gäste zu bekochen gewesen, dann bekommt Sergej abends eine besenstieldicke Havanna extra, »hat er sich verdient!« Sie lässt dann ihre Hand in Richtung Theke wandern und nickt mir auffordernd zu. Ich eile mich, das Gewünschte zu holen, denn jetzt wird es gemütlich werden. Die Katzen riechen es von weitem, nicht nur den Rauch und das Essen, sie streichen bettelnd zwischen den Beinen herum, verteilen sich über Fensterbänke, duldsame SchöÃe, Stuhlkissen, legen die Köpfe auf die Pfoten, und nicht einmal die ungezähmten geben noch acht. Heute wird sie niemand scheuchen. Die Katzen
wissen im Voraus, wann ein guter Abend ist. Ein guter Abend, das ist, wenn die Katzen nicht auf der Hut sind, wenn einer etwas sagt, ein anderer antwortet, und dann sagt jemand: »Erzähl!«
Und wenn sich keiner in einer Streiterei aufhängt, folgt eine Geschichte der anderen.
»Tante«, sagte ich gelegentlich, »komm, die Katzen sind schon hier, und sie sind friedlich, du weiÃt, was das heiÃt.«
»Unsinn«, antwortete sie, »die Katzen sind nicht prophetischer als Franks Köter: fressen, schlafen, streicheln, da ist kein Geheimnis. Nur dass die Hunde sich besser aufführen.«
Ich pflichtete ihr bei und achtete dennoch abends darauf, wo die Tiere sich niederlieÃen, blieb dann länger sitzen, auch wenn ich vom Tag müde war.
Die Katzen schlichen überall herum, kannten weder Benehmen noch Moral, konnten einen mit ihrer Bettelei wahnsinnig machen, waren viel zu viele, waren hübsch anzusehen, man wollte sie allesamt zum Teufel jagen, aber keinesfalls missen.
Wie die Geschichten.
Â
Ein halb verwilderter Küstenstreifen, zweihundert Meter breit, siebenhundert Meter lang, drei marode Fischerkaten und ein Haus, ein ehemaliges Gasthaus aus den frühen dreiÃiger Jahren, mit zwei mäÃig erhaltenen Stockwerken, zerborstenen Scheiben, einem nicht ausgebauten Dachgeschoss unter von Algen und Moos bewuchertem Reet.
So fand Ruth es vor, im Sommer einundsiebzig. Sie selbst mit sechsunddreiÃig frisch geschieden und geradewegs von der Testamentseröffnung kommend. Sie ging durch modrig stinkende Räume, stieg über umgestürzte Möbel, scheuchte eine Ratte auf, verwurzelte sich augenblicklich: »Hier bleibe
ich! So wahr mir Gott helfe!« Das schwarze Kleid und die Strümpfe konnte sie danach wegwerfen.
Ihr Vater â »nicht der, den du kennst« â hatte sie als Erbin ausdrücklich wie ein leibliches Kind behandelt sehen wollen.
»Meine älteste Tochter, Ruth, hat er geschrieben!«
Ruth und die beiden Stiefbrüder erhielten je ein Drittel aus dem Erlös des Verkaufs der kleinen Firma, von dem nach Begleichung der aufgelaufenen Schulden eine ordentliche Summe blieb. Ruth war zudem das Land mit dem Gasthof zwischen Halsung und Liefgaard zugedacht worden, während die Brüder den Hof und die Stadtwohnung in M. unter sich aufteilen sollten. Ein Prachtanwesen sah anders aus, aber ein Geschenk des Himmels war es doch und es war ihres, ganz allein! »Mein Geld, mein Land und mein Haus! Und dieser Mensch, den ich einmal geheiratet hatte, konnte mich kreuzweise!« Mehr war über die Rolle von Ruths Ex-Mann nicht zu erfahren.
Vater Schuhmann hatte seinen Söhnen geschrieben: »Ruth vertraue ich das Land meiner Familie mütterlicherseits an. Es ist schon länger unbewohnt, und niemand hat sich darum gekümmert, aber ihr kennt eure Schwester, sie wird etwas daraus machen.«
Und Ruth machte etwas daraus, gleich am ersten Tag, trug Schrott und Abfall mit bloÃen Händen nach drauÃen, kam am nächsten Morgen mit Schubkarre und Schaufel wieder, engagierte den ortsansässigen Maurerbetrieb, vier Mann stark, Baubeginn binnen Wochenfrist. Sobald ein Zimmer im Untergeschoss notdürftig hergerichtet war, zog sie ein, mit Feldbett, Kerzen und Gaskocher, überwachte die Arbeiten, packte selbst mit an.
Den Leuten aus dem Dorf war sie nicht geheuer, diese Frau in Arbeitshosen, die allein hinterm Deich hauste, vor Sonnenaufgang
an der Abzweigung
Weitere Kostenlose Bücher