Das Meer in Gold und Grau
her trabte, eher verlegen. Elisabeths Verhalten bei unserem Aufbruch sprach dafür, dass es sich um eine Auszeichnung handelte, wenn Ruth mich auf einen Spaziergang mitnahm. Ich fragte mich, womit ich das verdient hatte, oder welche Absichten Ruth bewogen hatten, meine Begleitung zu wünschen, beziehungsweise zu fordern. Und: Hatte ich jetzt einen Job im Palau oder hatte ich keinen?
Wir waren eine Viertelstunde schweigend nebeneinanderher gegangen, die ich damit verbracht hatte, ebenso fieberhaft wie ergebnislos darüber nachzudenken, was ich zu Ruths Unterhaltung von mir geben könnte, als sie kurz stehen blieb, mich ansah und sagte: »Du redest nicht viel, das mag ich.«
Ich lächelte dämlich und hielt weiterhin erfolgreich den Mund.
Ruth winkte dem Baggerfahrer zu, der grüÃend den Arm gehoben hatte, wir machten einen Bogen um einen unkontrolliert herumliegenden Haufen Felsbrocken, spazierten zum Yachthafen und stiegen über den Zaun, der an dieser Stelle bereits bis zur Erde heruntergetreten war. Ruth setzte sich ächzend auf die Kaimauer, klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich, und wir lieÃen die Beine in der Luft über dem Hafenbecken baumeln.
Dem Hafen war der Sturm der vorangegangenen Nacht noch deutlich anzusehen. Zwei kleine Segelboote hingen schräg zum Anleger, der Inhalt eines umgekippten Mülleimers ergoss sich über die Wiese, losgerissene Planen flatterten im Wind, und auf zwei Fischerbooten waren fluchende Männer mit Aufräumarbeiten zugange. Im Hintergrund rumpelte der Bagger weiter mit seinen Felsbrocken, ein Motorboot tuckerte gemächlich vorbei, ich reichte Ruth eine Zigarette, und wir schnipsten Asche ins Wasser.
»WeiÃt du«, sagte Ruth nach einer friedlichen Zigarettenlänge, »in unserem Betrieb hat jeder so seine Eigenheiten.«
»Mir gefällt es bei euch«, sagte ich, worauf Ruth lächelnd nickte und wir wieder in Schweigen verfielen.
Ich wartete darauf, dass sie etwas fragte, nach der verlorenen Arbeitsstelle, meinen weiteren Plänen, meinem Vater oder sonst irgendwas, aber Ruth begann nach einer Weile einfach zu erzählen, als spräche sie nicht mit mir, sondern mit dem Seevogel, der bettelnd unter unseren FüÃen im Wasser schaukelte und sich nicht davon entmutigen lieÃ, dass die herunterfallenden Krümel sich jedes Mal als ungenieÃbar herausstellten.
»Als die Nachricht vom Tod deines GroÃvaters eintraf und ich die Einladung, zur Beerdigung zu kommen, in der Hand hielt, kam mir das wie ein Irrtum vor, falsch zugestellt. Mein Vater war schon lange vorher gestorben. Ich hatte einen guten Vater gehabt. Einen weiteren zu beerdigen, das war das, wovor ich bis dahin bewahrt worden war: einer zu viel. Ein Fremder, was ging er mich an? Ich ignorierte die Einladung, antwortete auf die Kopie des Testaments, die mir vom Amtsgericht zugeschickt wurde, mit einem Erbschaftsverzicht und dachte nicht weiter daran. Herzlos, nicht wahr?«
»Finde ich nicht.«
»Deine Familie wird sich ihren Teil gedacht haben. Nicht einmal eine Beileidskarte habe ich geschickt.«
»Es hat nie jemand von dir gesprochen.«
»Nein?«
»Nein.«
»Ich dachte.«
»Willst du hören, wie er so war, mein GroÃvater?«
»Ach, lass mal.«
»Ich hätte sowieso nicht viel über ihn zu erzählen gehabt, ein gewöhnlicher Opa eben. Ist lange her.«
»Ja. Lange. Mir hat nie etwas gefehlt.«
»Sei froh.«
Ruth warf mir einen schnellen Blick zu.
Sie kramte ihren Tabaksbeutel aus der Jackentasche, drehte nacheinander zwei perfekt gebaute Zigaretten, zündete beide an und reichte mir eine.
»Und du? Fristlos gekündigt? Das klingt nach einer aufregenden Geschichte.«
»Eher nach einer peinlichen Affäre, wenn du es genau wissen willst.«
»Nee, nee.«
»Was?«
»Ich willâs nicht genau wissen.«
Wir mussten beide lachen, das erste Mal gemeinsam, und wenn sie weitergefragt hätte, wäre ich imstande gewesen, ihr auf der Stelle mein gesamtes armseliges Leben aufzublättern, bis hin zur letzten bescheuerten Kleinigkeit, aber sie ersparte es uns, und dafür war ich ihr eine Minute später und Wochen lang dankbar.
Ich könnte mit der Zeit einiges nachliefern, dachte ich,
hübsch verpackt und in kleinen Dosen, zur leichteren Verdauung. Wir hatten Zeit, das Arbeitsamt konnte warten, ich würde noch ein bisschen bleiben,
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