Das Meer in Gold und Grau
andere gemeint hatte, schon gar niemandem übel wollte, ging unter. Ich versuchte einzulenken, mich zu entschuldigen, beiden Recht zu geben: »Gut, es mag stilvoller sein, feinsinnige Hotelgäste der gehobenen Klasse zu bewirten, aber bei der derzeitigen Lage kommt der Gewinn über die Masse der Leute herein. Das muss man nicht für gut halten, aber das sind schlicht die Fakten. Mach dir nichts draus, Tante, in der Nebensaison trinken sie dann wieder mehrheitlich grünen Tee, und keiner liest mehr die BILD auf deinem Gelände. Soweit ich es beurteilen kann, ist doch die Hauptsache, dass wir â¦Â«
»Jetzt mach mal halblang, Kleine!«, fuhr Ruth mir dazwischen. »Nach nicht einmal einer Saison als Kellnerin brauchst du dir nicht einzubilden, dass du beurteilen könntest, auf
welche Art man einen Hotel- und Gastronomiebetrieb führt. Ist das klar?!«
Damit fanden sich dann beide wieder auf derselben Seite, die Tante wortführend, Elisabeth zustimmend. Gemeinsam gegen mich sorgten sie zwar nebenbei dafür, dass ich mich nicht mehr ganz so groÃartig als Gewinn zu definieren brauchte, aber in dieser Konstellation, sprich: sich einig, waren sie mir dennoch lieber, als wenn sie einander angifteten. Sie stritten sich immer öfter in diesen Tagen, und ich lernte, dass es meinem und dem allgemeinen Wohlbefinden zuträglicher war, das schlicht zu ignorieren.
In einem Punkt allerdings waren Ruth und Elisabeth stets einer Meinung: Menschen in allzu spärlicher Bekleidung mussten, Hitze hin, Hitze her, ob drauÃen oder drinnen, des Palau verwiesen werden.
»Weg mit den blanken Specksilhouetten!«, forderte die Tante.
»Bierbäuche sind eine unzumutbare Belästigung«, pflichtete Elisabeth ihr bei.
Einzig über die Form der Abweisung wurde verhandelt, aber vom Grundsatz wichen weder die eine noch die andere ab. Neben dem Blechschild, das jetzt durchgängig auf geöffnet stand, wurde ein weiteres aufgestellt:
WIR BITTEN VON BESUCHEN
IN BADEKLEIDUNG ABZUSEHEN!
Heinrich erzählte mir, Elisabeth habe Ruth nach zähem Ringen diese Textvariante abgerungen, nachdem die Tante einen Abend lang auf WER NICHTS ANHAT, FLIEGT RAUS! bestanden hatte, extra groÃ!
Einem Mann, der das Schild übersehen hatte und in Badelatschen
und Shorts bis zur Theke vorgedrungen war, um seiner Enkelin ein Eis zu besorgen, hielt Ruth mit steinerner Miene den zum Ausgang hingestreckten Zeigefinger entgegen.
»Bin ich nicht dran?«, fragte der Mann und schaute sich nach den hinter ihm wartenden Menschen um.
Ruth blieb stumm, sah knapp an seinem rechten Ohr vorbei und wies unverändert auf die Tür.
Elisabeth kam dazu, schob Ruth beiseite, legte beide Hände auf die Theke, beugte sich lächelnd nach vorne und sagte: »Wir werden Sie gerne bedienen, wenn Sie angezogen sind.«
Einige der Anwesenden kicherten, jemand sagte gedämpft: »Bravo!«, und der Mann verlieà »Unverschämtheit!« schnaubend den Raum.
Nach Feierabend wurde ich belehrt, dass die Weigerung, halbnackte Menschen zu empfangen, keine moralischen, sondern rein ästhetische Gründe hatte.
»SchlieÃlich geht man ja auch nicht nackt zum Sonntagsgottesdienst!« , sagte Heinrich und war verstimmt, weil ich diesen Vergleich dann doch überzogen fand.
»Aber du wirst mir doch zustimmen, dass es eine Wohltat ist, wenn wir hier ein Mindestmaà an Anstand aufrechterhalten?«
Das tat ich und beschloss, mir die Formulierung zu merken.
»Ach was, Anstand!«, sagte Ruth.
»Es ist eine Frage des Respekts vor den anderen Gästen. Was nützt es, einen Raum sauber zu halten, die Tische mit Kerzen und Blumen zu schmücken, die Wände mit Bildern und schönen Dingen zu gestalten, wenn dazwischen schmierige Fettlappen über karierte Badehosenränder hängen?«, sagte Elisabeth. Und ich nickte.
Möglich, dass ich allmählich anfing, in ihren Kategorien zu
denken. Noch vor wenigen Wochen hätte ich derjenigen garantiert einen Vogel gezeigt, die mir das Tragen eines ärmellosen T-Shirts oder zu kurz abgeschnittener Jeans ausreden oder gar verbieten wollte. Jetzt lächelte ich auf solche Forderungen hin nur und zog mir etwas anderes an.
Auch die Hotelgäste wurden hinsichtlich der Kleiderordnung abgerichtet. Für sie lagen flauschige, nach Weichspüler duftende Bademäntel in den Zimmern, die, laut Informationsmappe, auch mit an den Strand
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