Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
Vom Netzwerk:
für die Hausgäste geöffnet wurde und ich mit dem Umbinden der Schürze in meine Dienstexistenz schlüpfte. Darin brauchte ich nichts und niemanden darzustellen, hatte nur zu funktionieren, und das tat ich mit Vergnügen: Ich wurde in Verfügbarkeit unsichtbar, durfte verschwinden hinter »Fräulein!«, einem Fingerschnipsen, »Bedienung!«, erhobenen Zeigefingern, »Junge Frau!«; ich gehörte zur Belegschaft, Teil einer Dienstleistung, etwas, das man mit einer Bestellung oder dem Ausfertigen der Rechnung beauftragte und jenseits dessen nicht zur Kenntnis nehmen brauchte. Beim Gang in die Küche konnte es geschehen, dass ich für Sekunden sichtbar und Katia wurde, ein Stück Backfisch oder ein Fleischbällchen in den Mund gesteckt bekam. Noch in der Schwingtür verwandelte ich mich wieder in »Fräulein!«. In dieser Gestalt legte ich täglich mehrere Kilometer Weg zurück, füllte zwischendurch Münzen und Scheine in die große Blechkiste unter dem Tresen, fragte bei jeder Runde aufmerksam nach, ob es noch etwas sein darf. Mir fiel nicht einmal auf, dass mir kaum Zeit für Rauchpausen blieb, und ich erholte mich so gut von mir wie noch nie.
    Nicht mehr Katia-der-Kauz, nicht mehr Freak, nicht mehr
mutterlose junge Wilde, nicht mehr sonderbar, nicht mehr Schlampe, nicht mehr traurig. Dazu blieb sowieso keine Zeit.
    Die Tante stand gelegentlich mit verschränkten Armen in der Hintertür und schaute mir zu. Als es mir zum ersten Mal auffiel und sie nach etwa fünf Minuten immer noch da war, ging ich zu ihr.
    Â»Ist was?«
    Â»Nein.«
    Â»Was tust du dann hier?«
    Â»Mir gehört der Laden, da kann ich herumstehen, wo ich will.«
    Â»Beobachtest du mich?«
    Â»Offensichtlich.«
    Nie war ich schlagfertig genug, um auf diese Art Anwürfe reagieren zu können. Ich stand bloß da und sah die Tante fragend an, bis sie mich bei den Schultern fasste, umdrehte und mit einem Stoß in den Rücken anschob: »Ab! Dahinten möchte jemand bestellen!«
    Als ich wieder zu ihr hinsah, war sie im Haus verschwunden. Da sie nicht dazu neigte, auch nur den leisesten Unmut für sich zu behalten, ging ich davon aus, dass ihre Beobachtungen sie zufrieden gestellt hatten.
    Â»Du bist nützlich und praktisch«, witzelte auch Elisabeth, die den halben Tag vor sich hinsummte und endlich aufgehört hatte, Ruth einreden zu wollen, dass ich mich emotional nicht zu stark an das Palau binden durfte, wenn sie glaubte, ich könne sie gerade nicht hören. Jetzt schnappte ich Sätze auf wie: »Sie hat sich wirklich gemacht!«
    Â»Was für einen Einsatz sie zeigt!«
    Â»Sie ist ein Gewinn!«
    Ich sonnte mich in dem Lob, auch wenn das Vokabular eher
dem meiner Oma entstammte, und dachte, hier würde mir so schnell niemand gefährlich werden. Wem war ich vorher je ein Gewinn gewesen? Wäre in diesen Tagen jemand mit diesem Angebot an mich herangetreten, hätte ich einen Vertrag auf Lebenszeit ohne Zögern unterschrieben.
    An einem Samstagmorgen waren bereits um zehn Uhr morgens so viele Menschen über den Küstenpfad zu Strandkorbfrühstück und Kajüten-Jause eingetroffen, dass Elisabeth zwei weitere Aushilfen aus dem Dorf anforderte. Eine von ihnen, Frau Scherer, die drei erwachsene Kinder hatte, sollte sich nach dem Willen der Tante von mir in die Arbeit einweisen lassen. Elisabeth widersprach ihr nicht einmal, meinte nur: »Gute Idee!« und ließ uns machen.
    Â»Katia wird Ihnen sagen, was zu tun ist«, sagte Ruth, ohne mich vorgewarnt zu haben, und als ich zögerte, der Frau, die etwa im Alter meiner Mutter war, Anweisungen zu geben, schnauzte die Tante: »Jetzt tu mal nicht so, als wärest du eine Abiturientin im ersten Ferienjob!«
    Â»Du bist ja nicht erst seit gestern hier«, ergänzte Elisabeth.
    Nein, war ich nicht, ich gehörte zur Hauptmannschaft, erste Liga. Ich war unentbehrlich und bewohnte ein Zimmer, an dessen Tür jemand zwei Tage zuvor ein Schild privat geschraubt hatte, genau so eines, wie es sie auf Elisabeths und Ruths Zimmertür gab. Das Schwalbennest war nicht mehr für Gäste verfügbar, es gehörte mir und das Strandkorbcafé auch schon halb.
    Frau Scherer stellte sich als erfahrene Kellnerin heraus, die weder Anleitung noch Weisung von mir benötigte, was Ruth sicher gewusst hatte. Wir teilten uns die Tische auf, ich die linke Seite, sie die

Weitere Kostenlose Bücher