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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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siebzehnten Jahrhunderts eröffnet wurde?«, sagte der Alte. »In Mekka hingegen existierten bereits im zwölften Jahrhundert etliche Kaffeehäuser, die waren uns weit voraus. Das erste Kaffeehaus auf europäischem Boden wurde 1647 in Venedig gegründet, die Engländer folgten wenige Jahre später, und erst 1683 zog Wien nach, wo dann allerdings, wie allgemein bekannt«, er verbeugte sich leicht zu Elisabeth hin, »die Kaffeehauskultur zu ihrer vollen Blüte gebracht wurde. Ich gratuliere zu dem Vorhaben!«
    Elisabeth erwiderte die Verneigung und lächelte: »Warten wir es erst einmal ab.«

    Ruth fuhr zu ihr herum: »Abwarten? Soll ich dir einen Spiegel holen? Schau in deinen Pass, und dann sagst du mir, was du noch abwarten möchtest.«
    Elisabeth starrte sie an, wollte etwas sagen, stockte, fuhr sich mit beiden Händen durch die Locken, ließ die Arme fallen, die wie leblos an ihrem Körper herunterhingen.
    Â»Ruth, also …«
    Ich wünschte mich mit einem Mal weit weg von ihnen, dachte, dass ich jetzt etwas sagen sollte, etwas wie: »So alt seid ihr nun auch wieder nicht«, sah ein, dass es sich völlig schwachsinnig anhören würde, kaute auf meiner Unterlippe und schaute diese beiden Frauen an, die sich ein Duell lieferten. Heinrich trat ruhig, aber bestimmt zwischen sie und sagte: »Damen bekamen übrigens erst im neunzehnten Jahrhundert Zutritt zu den Kaffeehäusern. Man war der Meinung, das ›schwache Geschlecht‹ vor Spiel, Alkohol, aufregenden Gesprächen und Zigarettenrauch schützen zu müssen. Was sagt ihr dazu?«
    Ruth blies ihren Rauch aus, legte Heinrich die Hand auf die Schulter, schob ihn sanft beiseite, sagte: »Da sieht man doch, dass Bildung wirklich zu was nutze ist«, und verschwand nach draußen.
    Abends ging ich geradewegs auf den Glutpunkt in der zwölf zu, kam Ruths »Ich hab zu tun!« mit »Ich weiß« zuvor und ließ mich neben sie auf das Polster fallen.
    Da saßen wir, stumm, schauten zu, wie die große wabernde Fläche vor uns sich mit Schwärze füllte.
    Weit nach Mitternacht schreckte ich von einem Möwenschrei geweckt auf, spürte eine Wolldecke, die vorher nicht da gewesen war, dachte: nicht einmal mit ihr wachen kann ich.
    Ruth erhob sich, sagte »Geh ins Bett, Kleine« und schlurfte zum Haus zurück.

5
Eine Bekassine
    Pünktlich zum Beginn der Sommerferien gab das Wetter eine vorerst letzte goldene Vorstellung. Die Sonne brannte drei Wochen lang vom Himmel, sorgte für Rekordtemperaturen und glättete Elisabeths Stirn, während sich neben der Palau-Kasse auch mein Beutel mit Trinkgeldmünzen füllte.
    Als hätte die Wärme sie aufgetaut und plötzlich alle auf den schmalen Küstenpfad zwischen Halsung und Liefgaard getrieben, strandeten Scharen von Touristen auf der Hälfte des Weges bei uns. Sie kamen und gingen bis in den späten Abend, die meisten zu Fuß, einige schoben ihre Fahrräder über den Deich, andere verstellten mit ihren Autos sogar die Zufahrt für den Obstmann. Durstige und hungrige Menschen breiteten sich über das Gelände aus, nahmen Kaffeetassen oder Bierflaschen mit an den Strand, besetzten Steinbrocken und Grasflecken, wenn alle Strandkörbe belegt waren, aßen den Kuchen aus der Hand, fotografierten bettelnde Möwen, schokoladenverklebte Münder und nackte Füße in der träge an Land schwappenden See. Kinder traten in Muschelscherben, bettelten um Eis und Limonade. Ältere Paare im Freizeitwesten-Einheitslook führten ihre Hunde an die Wasserschalen, verzehrten Buttercremetorte oder gedeckten Apfelkuchen mit Sahne. Wanderer ließen sich Trinkflaschen auffüllen und blieben nach einem Teller Bortsch oder Rudelki nicht selten für den Rest des Tages hängen, manche sogar über Nacht.

    Wir hatten zu tun, und ich war inzwischen gut genug eingearbeitet, um auch in dieser Flut die Stellung zu halten.
    Ganze Tage vergingen, an denen ich an nichts anderes zu denken brauchte als an Tischnummern, Essenspreise und das Gleichgewicht eines Serviertabletts. Abends fiel ich erschöpft ins Bett, schlief fest und traumlos, stellte beide Wecker auf fünf Uhr früh, um am nächsten Morgen zwanzig Minuten lang den stillen Tagesanfang mit der zeitungslesenden Tante genießen zu können, bevor diese sich auf ihren Müllsammelspaziergang machte, das Frühstückszimmer

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