Das Meer in Gold und Grau
Besserung versprach, für den Lauf der Woche sogar noch Schlimmeres ankündigte.
Die Tagestouristen blieben aus, das Strandkorbcafé wurde vorübergehend geschlossen. Der Club im Frühstückszimmer zog zurück ins Erdgeschoss, und in der Kajüte wurde wieder friedlich gelesen oder Jazz gehört, dazu japanischer Sencha
oder Nordisches Intermezzo zu Wolkenbiskuit in Blaubeerschaum oder »was auch immer Frau von Kroix heute Wunderbares gezaubert hat« bestellt. Meine Hoffnung, dass wenigstens die Tante dadurch milder gestimmt werden würde, stellte sich leider als trügerisch heraus.
Das Ehepaar Otternschlag sowie Familie Gaigern brachen kurz nacheinander ihren Aufenthalt ab und lieÃen die Sommersuite sowie das gröÃte Doppelzimmer leer stehen, was Ruth um diese Jahreszeit als persönliche Beleidigung nahm. Elisabeth störte sich mehr daran, dass der Wind sich zu immer höheren Stärken aufblähte und die Tageseinnahmen auf wenig über null einbrachen, und legte ihre Stirn wieder in Falten.
Wir saÃen ab dem frühen Nachmittag am Personaltisch herum, starrten auf die graue Wand hinter den Fenstern und warteten neben den übrig gebliebenen Hotelgästen und den aus allen Himmelsrichtungen heimgekehrten Katzenviechern, dass es vorbeiging.
Ging es aber erst einmal nicht.
Die Tante war während der letzten fünf Schönwettertage quasi unsichtbar gewesen. Sie hatte sich selbst zum Küchendienst eingeteilt und war gänzlich darin abgetaucht, nachdem eine Horde vereinsurlaubender FuÃballfreunde aus Düsseldorf das Palau regelmäÃig zu belagern begonnen hatte und Ruths Toleranzpotential damit endgültig aufgebraucht worden war. Selbst ich hatte mich angesichts dieser Typen nicht dagegen wehren können, doch ein gewisses Verständnis für Ruths Gästepolitik zu entwickeln. Und hatte ihre Nörgeleien glatt vermisst. Vom Bibliotheksfenster aus war nachts drauÃen der Glutpunkt auszumachen gewesen, ich hatte es aber nicht geschafft, ihm nachzugehen. Ruth wollte ihre Ruhe, sollte sie haben.
Jetzt kam sie zwar endlich wieder hervor, hockte aber mürrisch auf der Bank am Personaltisch und las in einem Buch, das Frank ihr vor seiner Abreise gegeben hatte. Mehrmals täglich erhob sie sich, um auf Kontrollgänge an den Buhnen und Wellenbrechern entlangzugehen, kam dann übellaunig wieder zurück und brummte: »Hält noch!«
Auf Flaubert-Zitate lieà sie uns vergeblich warten.
Ich band morgens nicht mehr die Kellnerinnenschürze um, wurde von Ania oder Bascha wieder auf mehr oder weniger sinnvolle Zimmermädchen-Gänge geschickt, sammelte dreckige Handtücher ein, übte mich im Betrieb einer HeiÃmangel, in deren Sockel mein Geburtsjahr eingeschweiÃt war, und verbrachte viel Zeit mit der Perfektionierung meiner Schuhputztechnik.
Als nach drei Tagen sämtliche Zimmer, Wäschevorräte und Gästeschuhe im Topzustand waren, teilte die Tante mich zum Rezeptionsdienst ein, wo sie den Karteikasten offen hinstellte und einige Bücher positionierte, von denen ich annahm, dass ich sie finden und lesen sollte. Ich griff mir dennoch lieber Hotel & Gast aus dem Regal, studierte einen Artikel über Verkaufsförderungs-Aktivitäten, einen weiteren über Methoden der Stärken-/Schwächen-Analyse gastgewerblicher Unternehmen. Ich dachte mir nicht allzu viel dabei, wollte mich nur informieren, etwas mehr wissen und, ja, ich wollte auch die Damen davon überzeugen, dass ich mehr drauf hatte, als Kuchenbestellungen abzuwickeln.
Als Elisabeth sah, was ich in den Händen hielt, fragte sie: »Willst du ins Hotelfach?«
Ich hielt es für einen wohlmeinenden Scherz und sagte: »Klar! Das scheint mir die Branche mit den besten Zukunftsaussichten zu sein!«
Elisabeths Gesicht erbleichte und verhärtete sich auf geradezu beängstigende Weise.
»Nun, wie du meinst«, sagte sie spitz und verlieà ohne weitere Erklärung die Rezeption.
»Was habe ich nun schon wieder Falsches gesagt?«, rief ich hinterher, bekam aber keine Antwort.
Ich seufzte, schob Hotel & Gast zurück ins Regal, griff mir Die Schatzinsel und nahm sie für nachts mit aufs Zimmer, wo der aufs Dachfenster prasselnde Regen mich auch dann vom Schlafen abhielt, wenn ich nicht über beleidigte alte Damen nachgrübelte.
Ich war auf eine falsche Taste gekommen und hatte nicht die geringste Ahnung, welchen von
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