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Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
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aber ...«
    »Deine Mutter hat recht. Du solltest endlich mal einen an Land ziehen.«
    Eigentlich wollte Merlin noch etwas dazu sagen, aber der Deutschlehrer bahnte sich gerade einen Weg durch die Schüler, um das Klassenzimmer aufzuschließen. Als sie schließlich auf ihren Plätzen saßen, zwinkerte Linda ihm zu. In solchen Momenten wünschte sich Merlin nichts sehnlicher, als neben Linda zu sitzen. Doch bei der letzten Änderung der Sitzordnung hatte man sie auseinandergesetzt, damit sie nicht so viel schwätzen konnten. Jetzt saß Merlin also allein an einem Tisch, während Linda ihren mit der Klassenbesten teilen musste. Ein Vorteil, der besonders bei Arbeiten unschätzbar viel wert war. Merlin vermutete, dass Linda seit Bekanntgabe ihres neuen Platzes nichts mehr für die Schule getan hatte.
    Missmutig holte er seine Materialien hervor und knallte sie vor sich hin. Draußen tanzten die grünen Blätter der Bäume im Sonnenlicht. Merlin wunderte sich plötzlich darüber, wie schnell die Sommerferien doch vorübergegangen waren und wie sehr sie sein Leben doch verändert hatten. Dagegen war der Schulalltag absolut ohne Veränderung geblieben. Irgendwie seltsam. Bisher hatte der Beginn eines neuen Schuljahres immer auch ein Gefühl mitgebracht, das ihm auch Veränderung versprach. Dieses Jahr würde es ganz sicher Neuerungen geben, doch er fühlte sich, als ginge das letzte Schuljahr einfach weiter. Vielleicht, weil er dieses Jahr nicht weggefahren war, sondern seine Ferien zu Hause verbracht hatte. Fast jeden Tag hatte er sich mit Linda getroffen, was letztlich für sie beide recht anstrengend geworden war. Und jetzt würde alles fast so wie immer weitergehen.
    Plötzlich flog ihm ein Papierkneul an die Stirn. Linda lachte laut auf, hielt sich aber sofort die Hände vor den Mund. Irritiert nahm Merlin das Stück Papier und entfaltete es. In ihrer sauberen Handschrift stand dort: Wie sieht er denn aus? Träum nicht, schreib mir!
    Merlin grinste. Sofort machte er sich daran, das, was er noch im Gedächtnis hatte, mitzuteilen. Vorne fing Herr Stolte an, ein paar salbungsvolle Sätze zum neuen Schuljahr zu sagen: »Ab jetzt seid ihr freiwillig in der Schule. Wer also keine Lust mehr hat, kann jederzeit abbrechen und sich einen Job suchen. Aber trotzdem wünsche ich ...«
    Das Gelaber interessierte Merlin nicht. Er hatte nur diesen Jungen im Kopf, den er Linda gerade beschrieb. Erst als der Rektor den Raum betrat und alles ruhig wurde, hob auch er den Kopf. Wie vom Donner gerührt saß er auf seinem Stuhl. Gleich neben Rektor März stand sein Tagtraum. Ihm wurde schwarz vor Augen. Bitte, lass ihn nicht in diese Klasse kommen! Aber seine Befürchtung wurde mit Stoltes Worten an den Jungen bestätigt: »Na dann ein herzliches Willkommen.«
    Der Rektor zog sich zurück und Merlin wünschte sich, er könnte jetzt einfach mit ihm gehen.
    »Psst«, machte Linda und warf ihm einen fragenden Blick zu. Merlin versuchte ihr möglichst unauffällig zu verdeutlichen, dass sein Alptraum soeben wahrgeworden war, aber sie verstand nichts - wie immer, wenn es ihm mal wirklich wichtig war, nonverbal mit ihr zu kommunizieren.
    »Jetzt darf auch wieder Ruhe einkehren«, tönte Stolte, obwohl es gar nicht so unruhig war. »Wir haben einen neuen Mitschüler bekommen.«
    Linda sah mit kullernden Augen zwischen dem Neuen und Merlin hin und her. Dann machte sie eine fragende Geste. Merlin nickte. Sie klappte ungläubig den Kiefer hinunter.

    8

    Genau vor dieser Situation hatte sich David gefürchtet. Im Stillen verfluchte er sich, dass er sich von dem Nachbarsjungen hatte aufhalten lassen. Wenn seine Mutter wüsste, dass er es nicht rechtzeitig zur Schule geschafft hatte, obwohl sie ihn vorsorglich eine halbe Stunde eher aus dem Bett geworfen hatte, würde sie ihn demnächst doch glatt mitten in der Nacht wecken. Aber selbst das wäre nicht halb so schlimm, wie das, was ihm nun bevorstand.
    Die Klasse wurde plötzlich ganz leise. Alles schaute ihn an. David spürte, wie die Blicke ihn schwindelig machten. Immer wieder musste er sich ins Gedächtnis rufen, dass ihn noch niemand kannte. Keiner wusste, dass er eigentlich ein schwächlicher Typ war. Das Schlimme war nur, dass auch er niemanden kannte.
    »So, da jetzt endlich alle zuhören ...« Stolte räusperte sich. »Ich bin der Deutschlehrer, Herr Stolte.« Die Lehrkraft reichte ihm die Hand und sah ihn aufmunternd an.
    David erwiderte den Händedruck mechanisch. Er wusste, was man nun von

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