Das Meer in seinen Augen (German Edition)
David spürte sein Gesicht warm werden. Natürlich wusste er seinen Namen, den hatte er ja vorhin schließlich vor allen gesagt. Dann bemerkte er, dass Merlin immer noch seine Hand hielt. Automatisch zog er sie zurück, was wohl einen etwas abweisenden Eindruck machte. Zumindest schaute Merlin irgendwie seltsam und wandte sich von ihm ab. Wieder wurden Briefchen ausgetauscht, aber David gab sich Mühe, nicht neugierig zu schauen. Er versuchte sich auf den Lehrer zu konzentrieren, der ein paar Schülerfragen zum neuen Schuljahr beantwortete. Sorgfältig schrieb David den Stundenplan von der Tafel ab.
»Du hast aber eine schöne Schrift«, sagte Merlin plötzlich.
David erstarrte. Er dachte an seine Mitschüler in Hamburg, die ihn immer wegen seiner ordentlichen Schrift ausgelacht hatten. Irgendwie stimmte es ja auch, er hatte eine richtige Mädchenschrift.
»Wenn ich so schreiben müsste, würde ich ja ewig brauchen, bis ich was fertig hätte«, fügte Merlin noch hinzu.
David sah ihn an. Er suchte nach einem Anzeichen, dass sein Nachbar ihn hochnehmen wollte, fand aber keines. Trotzdem versuchte er abzulenken: »Wenn du überhaupt nichts schreibst, bin ich auch mit Hammer und Meißel schneller.«
Merlin zog eine Augenbraue hoch. »Du bist aber kein Streber, oder?«
David hielt die Luft an, dann sagte er: »Ich hoffe nicht.« Natürlich war er ein Streber. Dafür haben sie ihn in Hamburg immer gehasst. Aber das konnte er wohl kaum zugeben.
»Gut.« Merlin grinste ihn an. »Aber so schlecht wäre es gar nicht, dann würde ich hier hinten nämlich mal was mitbekommen.«
»Vielleicht - ich kann dir ja helfen«, sagte David unsicher. Mit solchen Sätzen stärkt man bestimmt nicht den Eindruck eines harten Typen, dacht er sich.
»Für den Anfang würde es reichen, wenn du mir deinen Stundenplan kopierst. Noch ist er ja gleich.«
»Wieso noch?«, fragte David sofort.
»Na, nächstes Halbjahr können wir dann wählen, was wir weiter belegen.« Merlin lächelte. »Hat der Stolte doch gerade eben erklärt. Bist wohl doch kein Streber, was?«
»Scheint so«, sagte David und freute sich, dass man ihn als unaufmerksam einstufte. Das Image des Strebers wollte er nun wirklich nicht mehr.
»Wegen vorhin«, fing Merlin an. »Tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«, fragte David verwirrt.
»Na, wegen der dummen - Aktion. Das mit dem Feuer. Ich meine, für normal rauche ich nicht, aber ...«
»Aber«, unterbrach David ihn, »heute hattest du mal Bock drauf und ich hatte kein Feuer. Da muss ich mich doch entschuldigen, oder?«
Merlin zögerte. Dann sagte er: »Ja«. Sofort zuckte er aber zusammen. »Nein, natürlich nicht. Ich meine, ja, ich wollte mal eine rauchen, aber ich finde es gut, dass du - kein Feuer hattest.«
»Da habe ich ja was Gutes getan«, sagte David. Er merkte, dass er lockerer wurde. Dieser Merlin schien ganz nett zu sein.
Aus den Augenwinkeln nahm David eine Bewegung wahr. Kurz darauf landete wieder ein Briefchen auf dem Tisch und rutschte über den Rand. Das Mädchen schräg gegenüber lachte laut auf, was ihr die Aufmerksamkeit des Lehrers einbrachte. Und dann sah David, dass die Luftpost geradewegs zwischen seinen Beinen lag.
»Ähm«, flüsterte Merlin, »der ist sicher für mich.«
David wurde rot. Schnell nahm er den Zettel aus seinem Schritt und reichte ihn weiter.
9
Merlin beobachtete den Neuen verstohlen. Seine Mutter hatte recht gehabt, er sah süß aus, auch wenn er das selbst nie so sagen würde. Besonders gefielen ihm die braunen Augen. Merlin liebte braune Augen. Davids Braun waren nicht dunkel, sondern strahlten einen hellen erdigen Ton aus. Wie Sonnenlicht auf Herbstlaub. Sofort musste er über diesen schwülstigen Vergleich grinsen. Wenn er das seiner Mutter erzählte, würde sie ihn wieder als hoffnungslosen Romantiker abstempeln. Wahrscheinlich hatte sie damit sogar recht, auch wenn er sich selbst nicht so fühlte.
Er wartete noch einen Moment, bis David sich etwas notierte, dann faltete er das Zettelchen auseinander. Klappt doch! Ich weiß gar nicht, wovor du immer Panik schiebst. Grinsend sah er zu Linda auf. Sie machte eine gewinnende Geste.
»So, Linda wiederholt jetzt noch mal für alle, was ich gerade gesagt habe«, erhob Stolte seine Stimme.
Linda sah ihn mit großen Unschuldsaugen an. Aber wie immer würde der Lehrer nicht mehr auf diese Masche hereinfallen.
»Linda?«, sagte er fordernd.
Sie sah sich kurz hilflos um, entschied sich dann aber für die Wahrheit.
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