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Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
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schwachsinnig es war, seiner Mutter zuliebe so früh aus dem Haus zu gehen. Wenn er langsam ging, würde er höchstens fünf Minuten brauchen. Aber auch nur, weil der Eingang zur Schule auf der anderen Seite lag und er ganz um den Block herum laufen musste. Ab morgen würde er eine halbe Stunde länger schlafen, das war klar. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Zwanzig vor acht. Dann begutachtete er das graue Gebäude mit den knallig blauen Fensterrahmen. Wenn er irgendwo in den oberen Stockwerken Unterricht hatte, würde er gut einen Blick auf sein Zuhause werfen können - und noch wichtiger: Das Haus gegenüber. Vielleicht ging der Junge ja zufällig auch hier zur Schule. David drehte sich um und betrachtete das Nachbarhaus durch die Sträucher und Bäume. Viel war nicht zu sehen, aber die roten Backsteine leuchteten hervor. Und ganz oben befand sich ein Fenster, das nicht vom Blattwerk verdeckt wurde. Dann entdeckte er die Parkbank, die sich gleich am Ende des kleinen Weges befand. Er schlenderte darauf zu und setzte sich. Wenn er schon so viel Zeit hatte, konnte er auch hier warten, bis die Schule anfing. Der eigentliche Grund für seine Entscheidung war natürlich die Aussicht, dass er eventuell dem Nachbarjungen begegnen würde. Ein langes, herzhaftes Gähnen zwang seinen Mund auf, sodass er sich die Hand vor das Gesicht halten musste. Über ihm zwitscherten ein paar Vögel um die Wette, während der frische Morgenwind durch die Bäume strich. So hart die Bretter der Bank auch waren, sie verlockten dazu, sich gleich hier noch mal für ein Stündchen hinzulegen. Wieder gähnte er und kniff dabei die tränenden Augen zusammen. In Gedanken verfluchte er seine Mutter. Warum konnte sie ihn nicht einfach schlafen lassen?
    »Hast du mal Feuer?«, fragte plötzlich eine Stimme. David riss die Augen auf. Vor ihm stand - oh Gott - der Junge, den er gestern die ganze Zeit beobachtet hatte. Er hatte ein schwarzes Shirt an und eine beige Skaterhose. Lässig hielt er ihm eine Zigarrette hin. Dann fragte er noch mal: »Und? Hast du?«
    »Oh, ich - also, ich - ich rauche nicht«, stotterte David und wäre am liebsten gleich vom Erdboden verschwunden.
    »Klasse, ich auch nicht«, sagte der Junge und steckte die Zigarrette weg.
    »Aber, warum ...«
    »War eine doofe Idee von meiner Mutter.«
    David sah den Jungen irritiert an. »Von deiner Mutter?«
    »Ja, genau.«
    »Warum will sie denn, dass du rauchst?« David konnte nicht glauben, dass es irgendwo auf der Welt eine Mutter gab, die ihrem Sohn ernsthaft empfahl, das Rauchen anzufangen.
    »Ach«, machte der Junge und hob die Schultern kurz an, »vergiss es einfach, okay?«
    David wusste nicht, was er darauf sagen sollte, also nicke er, während der Nachbarsjunge unschlüssig vor der Bank stand.
    »Ich geh dann mal«, sagte der Junge schließlich und wandte sich ab.
    Wie versteinert blieb David auf der Bank sitzen und sah ihm nach. Erst als der Abstand schon zu groß war, fiel ihm ein, dass er eigentlich hätte hinterhergehen müssen. Er hätte ihn fragen können, ob er auch hier zur Schule ging, wie er denn hieß, irgendwas. Aber nein, er blieb einfach blöd auf der Bank sitzen und gaffte ihm nach.
    Den Kopf voller Gedanken, nahm David seine Tasche und ging auf dem schmalen Weg über die Wiese dem Schulgebäude entgegen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er sich beeilen musste, es war eine Minute vor acht. Da er heute den ersten Tag an dieser Schule verbringen würde, musste er erst ins Sekretariat. Hoffentlich war es dafür nicht schon zu spät. Seine Mutter fiel ihm mahnend ein, die etwas von einem schlechten Eindruck gesagt hatte.

    7

    Merlin widerstand angestrengt der Versuchung, sich doch noch umzusehen. Aber nach seinem misslungenen Spruch wollte er auf keinen Fall zurückschauen. Das wäre zu auffällig gewesen. Stattdessen verfluchte er im Stillen seine Mutter und ihre dämlichen Ideen. Wie hatte er sich nur darauf einlassen können? Erst gestern war er noch felsenfest der Meinung gewesen, dass er solche Aktionen auf keinen Fall brauchte. Und jetzt? Gleich am Morgen danach machte er sich zum Narren, indem er einen Nichtraucher nach Feuer fragte, nur um kurz darauf seine dumme Anmache auffliegen zu lassen. Jetzt konnte er nur hoffen, dass der Typ nicht auf seine Schule ging. Aber weshalb sollte er sonst morgens auf der Parkbank sitzen? Sicher nicht, um die Natur zu genießen. Merlin rief sich den Anblick des Jungen noch mal vor Augen, wie er dort saß und

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