Das Meer wird dein Leichentuch
„Und er kann nur gelöst werden, wenn sich der Besitzer freiwillig von diesem Stein trennt.“
„Was wollen Sie zahlen?“ knarrte Astors Stimme.
„Nichts!“ gab Damian hart zurück. „Nichts - als Ihr Leben, Mr. Astor - und die sichere Ankunft der Titanic in New York.“ setzte er etwas sanfter hinzu.
„Glauben Sie, dass ich Ihnen den kostbaren Stein, für den ich fünfhunderttausend Dollar auf den Tisch geblättert habe, für so Märchen übergebe?“ Astor lachte und kippte abrupt den restlichen Whiskey hinunter.
„Fünfhunderttausend Dollar sind kein Geld für einen John Jacob Astor. Sie werden nicht arm dadurch, wenn Sie den Stein des Schicksals aufgeben.“ Damians Stimme klang sanft.
„Ich habe vor, den Diamanten in New York zu verkaufen. Ist dann der Fluch erloschen?“ wollte Astor wissen.
„Ich sagte, dass der Fluch nur erlöschen wird, wenn sich der Besitzer freiwillig davon trennt.“ belehrte ihn Damian. „Wird er verkauft, dann lastet der Fluch auf dem Verkäufer wie auf dem Käufer. Selbst wenn Sie ihn hier an Bord verkaufen, ändert das nichts an dem Verhängnis, das durch den verderbenbringenden Stein über diesem Schiff schwebt.“
„Und was soll ich Ihrer Meinung nach mit dieser einzigartigen Kostbarkeit tun, Monsieur le Marquis?“ Astor dankte dem Steward, der ihm unaufgefordert einen neuen Whiskey servierte, mir einem Kopfnicken.
„Es gibt nur eine Möglichkeit, wie Sie sich und die Titanic vor dem sicheren Untergang bewahren können.“ sagte Damian de Armand mit bedeutungsschwerer Stimme. „Greifen Sie in die Speichen des Schicksalsrades, Mr. Astor. Gehen Sie an Deck - und werfen Sie den Blauen Diamanten ins Meer ...“
***
„Ich weigere mich, Ihre Verrücktheiten weiter anzuhören, Monsieur le Marquis!“ Astor sprang auf. Ohne ein Wort zu sagen, verabschiedete er sich mit einer knappen Verbeugung. Dann wandte er sich auf dem Absatz um und verließ mit raschen Schritten den Rauchsalon.
„Nein, folgen Sie ihm nicht, Danielle!“ Ich spürte, wie sich Damians kalte Hand auf meine Schulter legte und mich zurück hielt. „Er muss jetzt alleine sein und die Dinge, die ich ihm gesagt habe, innerlich verarbeiten. Wenn ich beten könnte, würde ich darum beten, dass er zur Einsicht gelangt. Es tut weh, zu wissen, dass unschuldige Menschen wegen seines Starrsinns sterben werden.“
„Glauben Sie, dass ein Mann vom Schlage eines John Jacob Astor so viel Geld einfach ins Meer wirft, nur weil ihm ein Unbekannter erzählt, dass ein Fluch auf dem Diamanten liegt?“, fragte ich und sah ihn an. In den Augen Damians lag Schwermut.
„Ich weiß es nicht! Das Schicksal ist dunkel und niemals ganz vorherbestimmt.“ bekannte er dann. „Gott, der Allmächtige, hat dem Menschen den freien Willen gegeben. Und die Weisheit, die Entscheidungen selbst zu treffen. Doch ob die Entscheidungen richtig sind, kann erst die Zukunft erweisen.“
„Aber das mit dem Fluch des Blauen Diamanten, das ist doch eine Erfindung von Ihnen, um den Stein günstig kaufen zu können!“ wagte ich einzuwerfen.
„Nein, keine Erfindung“, sagte Damian mit düsterer Stimme. „Wolle Gott, es wäre so. Aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich der neue, vom Geist des technischen Fortschritts besessene Mensch, nicht vorstellen kann.“
„Wollen Sie mir nicht mehr über den Diamanten erzählen“, bat ich. Damian nickte.
„Gehen wir dazu an Deck“, bat er. „Denn dieses wimmelnde Leben hier im Salon stimmt mich traurig. Wenn ich daran denke, dass all diese lebensfrohen Menschen hier bald sterben werden ...“
Er brach ab. Aber bei diesen Worten war es mir, als lege sich eine eiskalte, leblose Riesenhand um meinen Körper ...
***
Draußen auf dem Promenaden-Deck war es bitterkalt. Ich fröstelte in meinem leichten Ballkleid. Der Nordwind trieb die Reste des polaren Winters bis hinab in unsere Breiten.
Behutsam legte Damian seinen mächtigen Radmantel schützend um meinen Körper. Eine eigenartige Wärme stieg in
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