Das Meeresfeuer
Befehl. Jede Spur von Freundlichkeit war aus
Stanleys Stimme verschwunden.
Mike griff rasch nach dem zweiten Ruder, stemmte es gegen
die Kaimauer und drückte mit aller Kraft. Jetzt bewegte sich das
Boot schneller, aber noch immer nicht schnell genug. Stanley
hatte wohl eingesehen, daß sie seinem Befehl nicht freiwillig
folgen würden, denn er beugte sich vor und versuchte, eines der
Ruderblätter zu packen. Serena sprang auf und fuhr ihm mit den
Fingernägeln über den Handrücken. Stanley zog die Hand mit
einem zornigen Schrei wieder zurück, und endlich kamen sie
frei. Das Boot glitt träge drei, vier Yards von der Kaimauer fort
und begann sich auf der Stelle zu drehen, als Mike das Ruder
ins Wasser tauchte.
»Trautman, das ist ein Befehl!« donnerte Stanley.
»Kommen Sie zurück!« Mike ruderte wie wild. Das Boot drehte
sich scheinbar auf der Stelle und richtete den stumpfen Bug auf
die Hafenausfahrt und den Nebel, der noch immer wie eine
graue Wand davor aufragte.
Trautman war nach hinten gehastet und hatte die Plane
beiseitegeschlagen, unter der sich der Außenbordmotor des
Bootes verbarg.
Stanley schrie ihnen ein weiteres Mal zu, dazubleiben, aber
seine Worte gingen im Geräusch des erwachenden Motors
unter. Nur wenige Sekunden später begann das Wasser hinter
dem Heck des Bootes zu brodeln, und sie schossen pfeilschnell
auf die Hafenausfahrt und die offene See zu.
Der Nebel verschluckte sie wie eine weiche, weiße Wand,
aber das Gefühl der Sicherheit, auf das Mike wartete, stellte sich
nicht ein. Er ertappte sich dabei, wie er sich immer wieder
umdrehte und in das wogende Grau hinter dem Boot
zurückblickte, und er erwartete jeden Augenblick, einen
Verfolger dort auftauchen zu sehen. Was natürlich nicht
geschehen würde. Das Boot war viel schneller als jedes Schiff,
und der Nebel gab ihnen zusätzlichen Schutz.
»Das war knapp!« sagte Trautman. Auch er sah sich immer
wieder um, was Mike klarmachte, daß auch er sich nicht sicher
fühlte.
»Es tut mir leid«, sagte Mike kleinlaut. »Ich... ich wollte das
nicht sagen. Aber als ich Winterfeld erkannt habe –«
»Bist du sicher, daß er es war?« fragte Trautman. »Ganz
sicher«, bestätigte Mike. Er hatte ihn allerhöchstens eine
Sekunde gesehen, aber es gab überhaupt keinen Zweifel – der
Mann in der schwarzen Jacke war Winterfeld gewesen. »Ich
weiß, ich hätte mich beherrschen sollen, aber –«
»Es ist nicht deine Schuld«, unterbrach ihn Trautman.
»Stanley hätte uns sowieso aufgehalten. Der Mann ist
mißtrauisch. Und er ist nicht dumm. Er hat uns kein Wort
geglaubt. Keine Angst – er wird uns nicht einholen. Bevor sein
Schiff hier ist, sind wir längst meilenweit weg. « Er bemühte
sich, optimistisch zu klingen, aber sein Gesichtsausdruck war
sehr ernst. »Was mir Sorgen bereitet, ist Winterfeld«, sagte er.
»Was macht er hier?«
»Ich frage mich vielmehr, was diese beiden Männer hier tun«,
sagte Serena. »Stimmt es, was Mike über den Ort erzählte? Daß
er ganz unbedeutend sein soll?« »Das dürfte noch
geschmeichelt sein«, antwortete Trautman.
»Aber es kann nicht stimmen«, widersprach Serena. »Nicht
wenn sie beide hier sind. « Trautmans Gesicht verdüsterte sich
noch weiter. »Ja«, murmelte er. »Das scheint mir auch so. Aber
keine Sorge – wir werden es herausfinden, sobald wir wieder
auf der NAUTILUS sind. Und wir –« »Still!« Serena hob hastig
die Hand und legte den Kopf auf die Seite. Trautman
verstummte mitten im Wort, und auch Mike lauschte
angespannt. Nach einer Sekunde hörte er es auch: In das
Geräusch der Brandung und das Dröhnen ihres Motors hatte
sich ein neuer Laut gemischt. Ein tiefes Summen, das rasch
lauter wurde. Mike vermochte nicht zu sagen, was es bedeutete,
aber es gefiel ihm nicht.
Auch Trautman schien das Geräusch zu beunruhigen, denn er
erhöhte ihr Tempo. Die Sicht betrug vielleicht zehn oder
fünfzehn Meter. Sie waren viel zu schnell, um irgendeinem
Hindernis, das unversehens vor ihnen auftauchen mochte, noch
rechtzeitig auszuweichen. Mike schickte ein Stoßgebet zum
Himmel, daß ihre Flucht nicht an einem Riff oder einer
Sandbank enden mochte, die sie auf dem Weg hierher
übersehen hatten. Aber er beruhigte sich damit, daß Trautman
ein ausgezeichneter Steuermann war, der wußte, was er tat.
Sie liefen auf kein Riff, und es vergingen auch nur noch
einige wenige Sekunden, bis der Nebel ein wenig auflockerte.
Die grauen Schwaden lösten sich nicht ganz auf, aber sie
konnten
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