Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Werbeclip beobachten). Ein Teil der Form- und Ritualsehnsüchte wird, wie gesagt, in Firmenkulturen hinüberwandern: Wer jemals einer Apple-Produkt-Neuvorstellung beigewohnt hat, weiß, was Verkündung und Erlösung im hochtechnisierten Raum bedeuten. Spirituelle Praktiken geraten heute in einen gigantischen Rührmixer, und heraus kommt (meistens)
ein neochristlicher Profanbuddhismus, der auf Naturglauben basiert. Wenn Menschen behaupten, an Gott zu glauben, glauben sie in Wahrheit an den »Kosmos« oder die »Schöpfung« oder die »Biosphäre« oder die »Noosphäre« (das erleuchtete Kollektivwesen des Internet).
In meiner Jugend gab es, neben diversen kommunistischen Sekten mit ihren skurrilen Marx-Exegesen, eine bunte Schar indischer Guru-Sekten, die die Technik der Meditation zu den Ego-Geplagten der westlichen Länder bringen wollten – in allen möglichen Varianten bis hin zum Dauerfliegen und dargereicht von kleinen dicken blütenbekränzten Gurus. Das war ein eher mühsames Geschäft (mit der Ausnahme der Bhagwan-Welle, die Ende der siebziger Jahre eine kathartische Massenbewegung wurde). Heute entwickelt sich die Kulturtechnik der Meditation zu dem Trendphänomen überhaupt. Die Welt geht OOOMMM. Dieses spirituelle Geräusch wird sich bis 2045 zu einem Crescendo gesteigert haben, als akustische Untermalung einer globalen Patchwork-Spiritualität, wozu auch ein asketisch-spiritueller kosmopolitischer Atheismus gehören wird.
FINALE
Der langfristig komplexe Trend
Sprache, Gehirn und die Gesellschaft verbanden sich
in einem Drei-Wege-Tanz … Das Resultat war die
Co-Evolution, eine Spirale in Richtung auf immer
höhere soziale Komplexität.
MARTIN A. NOWAK
Je eher du einen Schritt zurücktrittst und die Kom-
plexität annimmst, desto leichter findest du einfache
Antworten … Einfachheit liegt auf der anderen Seite
der Komplexität.
ERIC BERLOW
Hinter allem steht mit Sicherheit eine simple, wun-
derbare Idee, über die wir – wenn wir sie in einem
Jahrzehnt, einem Jahrhundert oder Jahrtausend end-
lich verstanden haben – einfach nur sagen können:
Was sonst!?
JOHN ARCHIBALD WHEELER
Der amerikanische Zukunftsforscher Herman Kahn war ein Zwei-Zentner-Mann mit erheblichem Charisma und gewaltiger Wirkung. Bilder aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeigen ihn in Posen wie Napoleon oder Churchill, allerdings hielt er statt Zigarre oder Fernrohr stets einen Bleistift in der Hand. Zeitzeugen beschreiben ihn als »röhrende Wortmaschine«, als »Super-Ego mit großem Herzen«, der unentwegt Wortspiele veranstaltete, in denen das Schicksal der Menschheit wie eine Art Slapstick verhandelt wurde. Entspannen konnte er sich, so geht die Legende, nur in seinem Schwimmbad, das eigentlich ein Atombunker war. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass Kahns Leibesfülle nicht durch die Einstiegsröhre im Garten passte, hatte er kurzerhand einen Durchbruch vom Keller zum Bunker geschaffen – und den »atomic shelter« in ein Schwimmbecken umgebaut. 1
Wie wohl alle unruhigen Geister, die der menschlichen Kultur eine kreative Dimension hinzufügen, erlebte Kahn in seiner Jugend das, was man salopp einen »Knacks« nennt. Seine Eltern ließen sich früh scheiden, die Familie zerbrach, und Kahn flüchtete sich in Bücher und Träume über die Welt von morgen. Nach einem Physikstudium und einem kurzen Versuch als Immobilienvertreter wurde er in die Weiterentwicklung der Wasserstoffbombe involviert, wechselte aber schnell in die Abteilung für kriegsstrategische Fragen und wandte sich der Spieltheorie zu. Was würde passieren, davon handelten Kahns Planspiele, wenn Tausende Nuklearraketen zum Einsatz kämen, die sich in den sechziger Jahren in den Arsenalen von Ost und West angehäuft hatten? Wie viele Tote, zerstörte Städte, verstrahlt Dahinsiechende wären als Drohpotenzial genug, um die andere Seite vom Erstschlag abzuhalten? Kahn gründete
seine Planspiele auf zwei Prämissen: Ein Nuklearkrieg sei erstens führbar. Und könne, zweitens, gewonnen werden. Auch wenn Hunderte von Millionen Menschen stürben – irgendwie ginge das Leben weiter. Mehr noch: Wenn man die Bevölkerung nicht darauf vorbereite, würde man dem Gegner – der Sowjetunion – leichtes Spiel lassen. Und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass es irgendwann tatsächlich zu diesem Ereignis käme. Also müsse man sich auf das Schlimmste vorbereiten, um das Schlimmste zu verhindern.
Aus der Person Herman Kahns – vermischt
Weitere Kostenlose Bücher