Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
mit dem des genialischen Spieltheoretikers John von Neumann und des deutschen Raketentechnikers Wernher von Braun – formte Stanley Kubrick die Hauptfigur des irren Wissenschaftlers in »Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben«. Dieser legendäre Film setzte Kahns Szenarien in eine fiktive Handlung um. Ein klitzekleines Missverständnis führt dazu, dass die »Doomsday-Maschine«, die den Atomkrieg verlässlich verhindern soll (durch garantierte Zerstörung der ganzen Welt bei einem Angriff), am Ende losgeht. It’s the communication, stupid! In der Schlusssequenz reitet ein texanischer Bomberpilot jauchzend auf einer Wasserstoffbombe in die nukleare Hölle.
Im Nebenberuf war Kahn ein rundum optimistischer Prophet der Zukunft. Zu seinen Lieblingsprognosen gehörten fliegende Autos, aber auch die garantiert wirksame Schlankheitspille spätestens bis zum Jahr 2000 (er starb 1983 im Alter von nur 61 Jahren, nicht zuletzt weil seine Gesundheit durch Übergewicht angegriffen war). Immer wieder beschäftigte er sich mit einem ominösen »Übertrend«. Er nannte ihn den langfristig komplexen Trend. In seinem Weltbestseller »Angriff auf die Zukunft« heißt es:
»Der langfristig komplexe Trend begann in der westlichen Kultur vor etwa tausend Jahren … Alle Universalhistoriker, die ernsthaft den Aufstieg und Verfall der Kulturen im vergangenen Jahrhundert diskutiert haben, haben einige Merkmale des komplexen Trends erkannt und ihnen eine außergewöhnliche Bedeutung zugemessen. Er setzt sich wie folgt zusammen:
Anwachsende sensualistische (empirische, diesseitige, humanistische, pragmatische, manipulierende, auf Verträgen beruhende, epikureische) Kulturkreise.
Bürgerliche, bürokratische und leistungsorientierte Eliten.
Institutionalisierung der technologischen Veränderungen in Forschung, Entwicklung, Innovation, Verbreitung.
Verwestlichung, Modernisierung und Industrialisierung.
Verstädterung und Suburbanisation.
Zunehmende Bildung und Ausbildung, »Wissensindustrien«.
Erneuernde und manipulierende Sozialtechniken: zunehmende Anwendung der Rationalität auf soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Bereiche.« 2
Kahn ging davon aus, dass eine neue Metawissenschaft, die »Universalhistorik«, diese Entwicklungen in ihren tieferen Zusammenhängen beschreiben könne. Die Atombombe war für ihn in gewisser Weise die Aufgabe, die die Menschheit durch Klugheit zu lösen hatte. Der atomare Untergang war wie ein Spiegel, in dem sich Homo futurus selbst erkennen könne. Würde die Menschheit diese Prüfung bestehen, so war sich Kahn sicher, würde ihr Weg zu den Sternen führen. Und der langfristig komplexe Trend, der Megatrend aller Megatrends, würde sie dorthin bringen.
Was ist Komplexität?
Mit der Komplexität geht es uns wahrscheinlich so wie jenem Richter, der in einem schwierigen Strafverfahren auf die Frage des Verteidigers, wie er denn, bitte schön, Pornografie korrekt definieren wolle, lapidar antwortete: Wenn ich es sehe, erkenne ich es!
Wir wissen instinktiv, was Komplexität von Einfachheit unterscheidet. Städte sind komplexere Lebensräume als Dörfer. Ein Handy ist komplexer als ein Stein. Und dennoch wird »komplex« immer wieder mit kompliziert verwechselt. Kompliziert sind Dinge, deren Komplexität sich uns nicht erschließt. Ein komplizierter Gegenstand – oder Sachverhalt – ist ein nervendes Problem, das wir uns nur schwer vom Hals schaffen können. Komplexität ist
in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Kompliziertheit. Komplexität zeichnet sich durch eine Fülle von Einzelteilen, aber auch eine Menge stabiler Verbindungen zwischen diesen Teilen aus. Um es systemtheoretisch auf den Punkt zu bringen: Komplexität ist durch Feedback »erlöste« Kompliziertheit.
Versuchen wir einmal, ein Plastiklineal senkrecht – also mit der schmalen kurzen Kante – auf den Tisch zu stellen. Unmöglich, es fällt um. Jetzt versuchen wir, das Lineal senkrecht auf der Hand zu balancieren. Haben wir als Kind tausendmal gemacht (und dabei versucht, einen Zeitrekord aufzustellen). Und siehe: Es geht. Das Lineal bleibt nicht auf der Hand stehen, weil wir es exakt ins Gleichgewicht bringen. Genau das wäre die »lineare Lösung«, die ebenso wenig funktioniert wie Zielmanagement oder versicherte Liebe, Planwirtschaft oder gesteuerte Innovation. Das Lineal bleibt deshalb in der Senkrechten, weil es wackeln kann. Es wird zu einem System mit den Bewegungen unserer Hand. Augen und Hirn
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