Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
wie es für so gut wie alle
großen Städte üblich ist. Die Komplexität der Gesamtgesellschaft sinkt, die Kultur polarisiert sich.
Ausgangslage eines »Separationsspiels«
Ergebnis des Separationsspiels nach Umsetzung der Umzugsregel
Jetzt starten wir das Spiel mit einer anderen Ausgangslage. Wir nehmen drei Ethnien (oder Kulturen oder Religionen). Auf den ersten Blick schon wird deutlich, dass das Ergebnis ein völlig anderes sein wird. Höhere Ausgangsvielfalt dämmt den Segregationseffekt ein. Es kommt nun allenfalls zu vereinzelten Umzügen, denn nun sind alle Nachbarn von zwei anderen Kulturen umgeben, und die Entscheidung umzuziehen, fällt nicht mehr so einfach. In der Folge bleibt es bei einem höheren Mischungsgrad, sprich kultureller Komplexität. 10
Ergebnis des Separationsspiels mit drei Parteien
Das Beispiel verdeutlicht erneut den Vorteil der Diversität, sprich Komplexität in der sozialen Evolution. Ein Stadtstaat mit 15 gemischten Ethnien wie Singapur oder eine echte Multikulturstadt wie London mit ihren mehr als 100 »communities« aus aller Herren
Länder bilden ein zwar irgendwie chaotischeres, aber alles in allem stabileres Gemeinwesen (obwohl auch dort sich Zorn und Konflikt aufstauen können, wie die jüngsten Londoner Unruhen gezeigt haben) als Städte mit einer monochromen oder bipolaren Bevölkerung. Problematisch sind vor allem Mehrheiten-Minderheiten-Konstellationen, bei der die eine Gruppe die andere dominieren kann. Deutsche gegen Türken in Berlin – wenn es den Propagandisten dieser Frontlinie gelingt zu suggerieren, dass dies der entscheidende Kulturkonflikt ist (die Kopftuchmädchen-These), dann erleben wir über kurz oder lang Gewalt. In rein monokulturellen Strukturen kommt es, wie die Geschichte zeigt, eher zu Stagnationen der soziokulturellen Entwicklungen generell.
Komplexe Systeme sind, wie wir schon mehrfach festgestellt haben, »ausgangssensibel«. Bei Agenten-Simulationen entwickeln sich, je nachdem, wie die Agenten anfangs verteilt sind, im weiteren Verlauf völlig verschiedene Muster. Das erklärt die Varianz des Spiels namens »Zivilisation« zumindest zu einem gewissen Teil: Bei schlechten Ausgangsbedingungen sind die Chancen weiterer Verschlechterung höher (das Schweden-Beispiel bildet den anderen möglichen Pfad ab). In einer Umgebung mit mehr als zwei ethnischen Gruppen entwickelt sich Toleranz als ein kulturelles Mem leichter, aber auch »zwingender«; es wird schwieriger, eine Gruppe zu unterdrücken. Toleranz führt wiederum zur schnelleren Aufnahme neuer Ideen und so zu einer dynamischeren und stabileren Entwicklung.
Als Terroristen 2001 das New Yorker World Trade Center zerstörten, aktivierten sie in New York dieses Resistenz-Mem der Vielfältigkeit. Der Terrorangriff wurde zum Katalysator intensiv empfundener Gemeinsamkeit, mit deren Hilfe sich die Stadt in vielerlei Hinsicht neu erfand. Die New Yorker sahen im Spiegel des Terrors die Vorteile ihrer Verschiedenartigkeit – aber auch das, was sie verbindet. Aus diesem Grund hat der Terrorismus in offenen, individualisierten Gesellschaften keine Chance – er differenziert eher das Wir, als dass er neue Eindeutigkeiten schafft.
Ein gutes Beispiel für die Vorteile der Pluralität ist auch die Entwicklung unseres Verhältnisses zu Homosexuellen. Es erfordert
eine Menge kultureller Vermittlungsleistungen – mentaler Komplexität – , um das Tabu zu durchbrechen, das mit Homosexualität verbunden ist (schließlich ist sie ein Affront gegen das Fertilitätsgebot, das wir in unseren Genen mit uns tragen). Woher stammt die zunehmende Akzeptanz der »gay culture«, wie wir sie in allen Wohlstandsgesellschaften beobachten können? Es ist kein Zufall, dass in schwulen Milieus überdurchschnittlich viele Künstler, Designer, Kreative zu finden sind. Außenseiter müssen besonders innovativ agieren, um ihre Chancen zu wahren. Die Integration von kreativen Außenseitern bringt der Gesellschaft überdurchschnittlichen Gewinn – und erhöht ihre kreative Fitness in der globalen Konkurrenz. Indem wir Homosexualität akzeptieren, lernen wir, die »evolutionäre Fitness« der Kultur von einer komplexeren Warte aus wahrzunehmen. Wir verstehen, dass wir persönliche Vorteile aus Unterschieden generieren können!
Auf Dauer ist die Komplexität also die robustere, stabilere Strategie. In der langen Geschichte der Menschheit haben immer Gruppen und Individuen einen Vorteil davongetragen, die über die Grenzen ihres
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