Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
16
Resilienz wird in den nächsten Jahren den schönen Begriff der Nachhaltigkeit ablösen. Hinter der Nachhaltigkeit steckt eine alte Harmonie-Illusion. Dass es einen fixierbaren, dauerhaften Gleichgewichtszustand geben könnte, in dem wir uns mit der »Natur« ausgleichen können. Dass wir das Lineal auf seiner schmalen Kante aufstellen können. Doch lebendige, evolutionäre Systeme bewegen sich immer an den Grenzlinien des Chaos. Auch dort können sie robust sein – im Wandel. Wenn wir ihr Wesen besser verstehen lernen, können wir ihre Architektur sogar in diese Richtung beeinflussen. Oder zumindest unser persönliches Leben.
Von der Welle zur Spirale
Ich bin kein Freund endgültiger Weltbeschreibungen. Modelle, in denen das Welträtsel mit zehn »bullet points« auf einer Powerpoint-Folie erklärt wird, rufen meine spontane Aversion hervor. Es gibt jedoch ein Modell, das alle Grundüberlegungen und Erkenntnisse aus der Spiel-, Evolutions- und Systemtheorie in ein angemessen komplexes und doch anschauliches Bild fasst.
Was müsste es leisten können? Es müsste sich von den alten, linearen Weltmodellen verabschieden. Es müsste sowohl die Kontinuität als auch die Brüche darstellen, die im Wandel der Welt existieren. Es müsste die Fallen eines idealisierten, romantischen Denkens vermeiden. Und es müsste das »östliche« und »westliche« Denken auf einer neuen (eben komplexeren) Ebene vereinen.
Das indische »kalachakra«, das Rad der Zeit, verbindet Anfang und Ende mit einer endlos gekrümmten Linie. Alles kehrt wieder. Und nichts verändert sich wirklich. Der Einzelne kann sich läutern und anpassen an das ewige Werden und Vergehen. Aber in diesem statisch-zyklischen Denken gibt es weder Fortschritt noch Wandel. Komplexität kann allenfalls auf der rein geistigen Ebene entstehen – und muss sich am Ende im Nirwana selbst widerlegen.
Im typisch »abendländischen« Denkmuster hingegen, das mit Augustinus’ ausdrücklicher Verneinung der zyklischen Existenz beginnt, ist die Zukunft eine immerwährende aufsteigende Linie. Die westlichen Fortschrittsbilder und Kulturmodelle sind durchtränkt von dieser Linearität, die uns ebenso wenig weiterführt wie die Kreisbahn der ewigen Wiederkehr.
Es ist Zeit, diese beiden geistigen Traditionen der Menschheit auf einer höheren Ebene zu vereinen. Die fraktale Mathematik und die Komplexitätstheorie geben uns dafür die Instrumente in die Hand, nun brauchen wir noch ein plausibles Symbolgebäude. Das »Spiral Dynamics«-System (nicht zu verwechseln mit der deutschen »Spiraldynamik«, einer Variante der Körpertherapie) nutzt die Metapher der Spirale. Eine Spirale ist im Prinzip endlos, aber nicht linear. Sie ist zyklisch, aber nicht geschlossen. Es ist kein Zufall, dass Spiralen mit ihrer Fibonacci-Mathematik Grundformen
der Evolution prägen: Schneckenhäuser, die Blüten von Sonnenblumen, Küstenlinien, Galaxien … 17
Ausformuliert wurde das Spiral-Dynamics-Modell von zwei Amerikanern: den Managementberatern Don Beck und Chris Cowan. Beide streiten sich, so geht das Gerücht, schon lange über die wahre Urheberschaft. Und natürlich gibt es teure Seminare und teure Broschüren; das Weltgeheimnis ist immer ein Riesengeschäft. Als eigentlicher Urheber, als Urvater der »spiral dynamics« muss jedoch ein in Vergessenheit geratener Entwicklungspsychologe aus den sechziger Jahren gelten, dem der Rummel um seine Theorie immer schon suspekt war: Clare W. Graves.
Graves ist der letzte Wahrheitssucher, dessen Wege und Werke wir auf der Reise dieses Buches kennenlernen. Und wieder handelt es sich um einen Kauz, einen Sonderling. Jemanden, der nie wirklich im Rampenlicht stand. Und vielleicht gerade deshalb dem Kern des Welträtsels ziemlich nahe kam.
Clare W. Graves wurde 1914 geboren. Über seine Kindheit in einfachen Verhältnissen in der Provinz von Indiana ist wenig bekannt. Der Zweite Weltkrieg muss den jungen Psychologen jedoch sehr beeinflusst haben – das Nachdenken über »den Menschen« durchdringt sein Lebenswerk. 1945 bekam er seinen Doktortitel und lehrte sporadisch an verschiedenen amerikanischen Universitäten. Er liebte die Lehre und seine Studenten, konnte aber mit dem Status eines Professors wenig anfangen. Er arbeitete eine Zeitlang als Berater für die Industrie und verschiedene Institutionen wie zum Beispiel Kliniken. Graves schaffte es erfolgreich, sein Werk vor der großen Welt zu verbergen. Man sagt, dass seine Texte (über Motivation und
Weitere Kostenlose Bücher