Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Tauben-Falken-Spiel bieten, das vom Evolutionsbiologen John Maynard Smith entwickelt wurde. 6 Stellen wir uns einen Planeten vor, auf dem nur raubtierhafte Vögel existieren. Falken, die aggressiv Jagd auf Beute machen. Da der Planet endlich und begrenzt ist, kommt es dabei immer zu Kämpfen und Verletzungen der Jäger untereinander. Auf diese Weise entstehen durch natürliche Selektion unglaublich fitte, muskulöse (wahrscheinlich auch sehr gut aussehende) Falken. Macho-Falken eben, und superfitte Falkenweibchen, die um ihren Nachwuchs
kämpfen können. Ein äußert einfaches Evolutionssystem, das allen Dominanzdenkern sicher Freude macht. Survival of the brutish. Evolution mit roten Klauen.
Irgendwann jedoch würde einer dieser Falken, der vielleicht individuell nicht ganz so fit und schön, dafür aber clever ist, ein wenig zögern. Er würde aus der Ferne Beute erspähen, aber sich nicht gleich darauf stürzen, sondern erst zuschlagen, wenn sicher kein anderer Falke in der Nähe ist. Auf Dauer würde dieser Falke wahrscheinlich ganz gut genährt und damit im Fortpflanzungsvorteil sein. Er muss ja nicht ständig kämpfen, um zu fressen. Und so entstünde über Varianz und Selektion eine evolutionäre Abspaltung, die Taube. Die Tauben-Variante würde sich wahrscheinlich bald schneller vermehren als die Falken. Wahrscheinlich würden sich ihre Augen eher in Richtung »Rundumsicht« spezialisieren, während sich die scharfen Falkenaugen besonders gut auf Beute in der Ferne fokussieren können (und dabei die Tauben im Gebüsch übersehen). Die Tauben würden immer besser zu kooperieren lernen. Und die Falken ihre Schnäbel und Krallen noch weiter zuspitzen. Deja vu?
Wie zwangsläufig ist diese Entwicklung? Könnte es nicht auf ewig beim alten einfachen Falkenmodell bleiben? Ein reiner Falkenplanet wäre das, was man in der Evolutionsbiologie »evolutionär instabil« nennt. Aufgrund der ständigen Kämpfe muss die Zahl der Falken sehr gering bleiben. Das Risiko, dass die Falken alle aussterben – durch eine genetische Mutation oder eine Umweltveränderung, eine Naturkatastrophe oder Krankheit –, würde sich im Laufe der Zeit potenzieren. Systeme ohne Vielfalt haben keine gute Zukunftsprognose!
Umgekehrt könnte man jetzt denken: Weg mit den blöden Falken! Wäre ein reiner Tauben-Planet nicht viel besser? Weil Tauben durch ihren Hang zur Kooperation immer eine Win-win-Situation herstellen, müssten sie doch irgendwann den Planeten komplett übernehmen! Ganz im Sinne einer grünen, solidarischen, nachhaltigen Zukunft!
Die Spieltheorie zeigt uns, warum auch dies in eine instabile Situation führen muss. Wenn alle unentwegt nur turteln und kooperieren
und vertrauen und teilen und verteilen, kann ein Falke (oder eine Taube, die falkenhaft handelt) jede Beute abgreifen, ohne auf irgendein Misstrauen oder eine Gegenstrategie zu treffen. Die Konsequenz wäre ein »Durchmarsch« (»The winner takes it all«), ein Kippen des Systems in die andere Richtung. »Nach einem Himmel der Kooperation folgt immer eine Hölle des Betrugs«, formuliert Martin A. Nowak das Dilemma in »Supercooperators«. 7
Ein kleines politisches Beispiel aus derjüngsten Geschichte: Die finnische Politik ist seit Jahrzehnten stark durch Kooperation und Vernunft geprägt. Finnen sind krisenerprobt, tanzen einen skurrilen Tango, lachen und trinken oft, sind Europafreunde, haben das beste Schulsystem der Welt, ein festes soziales Netz und keine Angst vor der Atomkraft. Sie sind frauenfreundlich und wahnsinnig nachbarschaftlich. So konnte die Partei »Die echten Finnen«, eine fremdenfeindliche, populistische, rechte Rüpel-Partei, im Jahr 2011 auf einen Schlag 19 Prozent der Wählerstimmen in Finnland erringen. Von heute auf morgen. Zu viele Tauben machen sehr wirkungsvolle Falken.
Nicht Optimierung, in welcher Richtung auch immer, sondern Ausdifferenzierung ist der stabilste Pfad der Evolution. Das Tauben-Falken-Spiel illustriert, warum die perfekte Gesellschaft – sei es eine Jäger-und-Sammler-Idylle, der Kommunismus, die »grüne Solidargesellschaft« oder die vollendete Hierarchie – nie existieren wird. Jede Kultur bringt Störungen hervor. Jede Zivilisation braucht eine gewisse Anzahl von Feinden, Gegnern, Widersachern, die sie zu effektiveren Strategien anregt, ihre Fitness trainiert. Um sich auf dem komplexen Pfad bewegen zu können, benötigt die (soziale) Evolution Widerstände. Oder noch einmal eine Ebene höher: Komplexe Systeme
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