Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Feuersbrunst im Jahre 1666 ihre Stadt wieder auf, obwohl dieser Brand wie viele Stadtbrände des Mittelalters praktisch keinen Balken auf dem anderen gelassen hatte? Warum kann man heute in Lissabon und San Francisco Straßenbahn fahren, obwohl beide Städte durch verheerende Erdbeben untergingen, oder in Dresden die Frauenkirche besichtigen und im Zwinger Kaffee trinken? Warum in Hiroshima auf einen lebendigen Markt gehen, anstatt nur die Gerippe der im Feuersturm zerstörten Bauten zu besichtigen? Weil die Geschichte weitergeht. Weil Menschen zäh sind, hartnäckig und erfindungsreich. Weil Verlust zur Kontinuität der Geschichte gehört.
Schweden war im 17. Jahrhundert eine kontinentale Seemacht. Belgien und Holland und Portugal, nicht zuletzt Spanien bildeten im Spätmittelalter Weltmächte. England war im 18. Jahrhundert, neben Holland, das reichste Land der Welt, ein Pionier der Industriellen Revolution. Sind Schweden, Belgien, Niederlande, Portugal, England »untergegangen«? England mag heute nicht mehr als imperiale Macht existieren – wie Toynbee es voraussagte. Aber das »Englische« blüht umso mehr – Teetrinken bei Regen, Angelsport und Gartenkunst schätzt man nicht nur in England. Kulturen gehen nicht »unter«, wenn die staatlichen Organisationsformen sich verändern. Die griechische Kultur wurde von der römischen absorbiert. Die lateinische Sprache brachte eine ganze kontinentale Sprachevolution in Gang. Das Weiße Haus in Washington ist das Abbild einer römischen Villa, das Capitol heißt nicht umsonst so. Die jüdische Kultur wurde im Laufe der Jahrtausende viele Male an den Rand des physischen Untergangs gedrängt – was ihr womöglich gerade jene Vitalität und Universalität verlieh, die wir an ihr so bewundern.
Der Vorteil der Rückständigkeit
»Das Problem ist nicht, dass Staatsgebilde zusammenbrechen (das tun sie dauernd), sondern dass sie so lang andauern«, meint der Historiker David Phillips. 4 Der »Untergang« (West-)Roms, quasi das Urmeter Spenglerianischer Logik und aller Untergangsgesänge, brachte das »dunkle« Mittelalter mit sich, die Herrschaft der Barbarei und der Hexenverfolgung. So die offizielle Geschichtsschreibung. Doch das Mittelalter war eine erfindungsreiche, vitale, vielfältige Epoche. Im europäischen Mittelalter wurden die Grundlagen für die Moderne gelegt – mit dem Buchdruck, der Mühlenwirtschaft, dem Manufakturwesen und vielen anderen Erfindungen. Die zahlreichen autonomen Klöster entwickelten innovative Wirtschaftsmodelle. Die Soziostrukturen der »Freien Stadt« konnten nur entstehen, weil kein imperiales, kaiserliches Reich mehr jede Stadt zur Garnisonsstadt degradierte. Wäre das Imperium der Römer ein »ewiges Reich« geblieben, hätte die Entwicklung gesellschaftlicher Komplexität, die schließlich zur Renaissance führte, nie stattgefunden.
Auch die »Barbarei der Barbaren« entstammt zu erheblichen Teilen einer verzerrten Geschichtsdarstellung. Als die Vandalen ins Römische Reich einfielen, bewahrten Reitervölker aus dem Norden vieles, durchmischten manches und adaptierten eine Menge. 5 Die Mongolen errichteten im Steppengürtel, der den eurasischen Kontinent zwischen Jenissei in Sibirien und dem österreichischen Burgenland durchzieht, ein ganzes »Imperium«. Sie eroberten das imperiale China und (fast) das Japan der Shogune und gründeten sogar eine multikulturelle Großstadt, Karakorum. Ihre Kulturform war grausam im Krieg, aber tolerant im Frieden. Sie hatten keine Vision imperialer Herrschaft, und sie zerstörten weniger Kulturen, als dass sie – wie der Wind die Blütenpollen – diese in alle Welt trugen. Die Mongolen waren womöglich die ersten echten Globalisierer Eurasiens.
Der Historiker Ian Morris brachte diese »kreative Zerstörung« so auf den Punkt:
»Soziale Entwicklung erzeugt Gewinner und Verlierer, neue aufsteigende Klassen, neue Beziehungen zwischen Männern und Frauen, Alt und Jung. Neue Kerne des Fortschritts entstehen, wenn diejenigen, die zu einer bestimmten Zeit unterlegen waren, durch den ›Vorteil der Rückständigkeit‹ das Heft in die Hand nehmen können. Wenn Gesellschaften größer, komplizierter und schwerer zu verwalten werden, entwickeln sie eine immer größere Bedrohung auch für sich selbst. Hier liegt das Paradox: Soziale Entwicklung erzeugt dieselben Kräfte, die sie unterminieren.« 6
Hätte man die von Rom unterjochten Völker im Jahre 350 n. Chr. abstimmen lassen, ob sie das Römische
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