Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Worldcom und Enron erinnern, einst in allen Wirtschaftsmagazinen als Leuchttürme globaler Brillanz gefeiert?
All diese Unternehmen hatten das, was im Allgemeinen als besonders signifikantes Merkmal der Zukunftsfähigkeit gesehen wird: eine Vision. Auf Business-Konferenzen kommt man ohne »Vision« kaum
aus. Meistens fällt das Wort in Symbiose mit dem Wort »zukunftsfähig«, neuerdings geht es vor allem um »nachhaltige« Visionen. Zukunftsforscher (ich spreche aus eigener Erfahrung) werden erst gar nicht auf die Bühne gelassen, wenn sie nicht irgendeine (es ist in der Tat nicht so wichtig, welche) »Vision« verkünden.
Aber genau eine »Vision« könnte das süße Gift sein, das Firmen umbringt.
Sehen wir uns die »Top 500« der einzelnen Länder und Kontinente an, wird schnell deutlich, dass die Volatilität großer Firmen kein Privileg Amerikas ist. Zwischen fünf und zehn Prozent aller Firmen verabschieden sich jährlich vom Markt, werden aufgekauft oder fallen so tief in den Rankings, dass sie eher in der B-Liga spielen. Und das Rad scheint sich immer schneller zu drehen. Microsoft war noch vor Kurzem der unangefochtene Weltchef der Computer-Entwicklung, Apple und Google hingegen Freak-Klitschen am Rand einer mächtigen Mainstream-Industrie. Nokia beherrschte bis gerade einmal vorgestern den weltweiten Handymarkt. Von den rund 40 weltweit agierenden Pharmakonzernen, die um die Jahrtausendwende den Medikamentenmarkt dominierten, existiert heute nur noch etwa ein Drittel – die meisten wurden von Konkurrenten aufgekauft. Ein Riesenkonzern wie die Fotofirma Kodak ist heute nur noch eine Nostalgiemarke.
Wie kann es sein, dass eine Wirtschaft, in der ständig gigantische Großunternehmen regelrecht pulverisiert werden, überhaupt existieren kann? »Kontinuität« und »Innovation« scheinen sich in seltsamer Weise zu widersprechen. Um dieses Stabilitätsparadox zu erklären, brauchen wir andere Modelle als die der Management-Gurus oder der »Visionslogik«. Wirtschaftliche Zukunft entsteht offenbar weniger aus Kontinuitäten als aus Brüchen, Abweichungen, Fehlern. Woran, zum Teufel, erinnert uns das?
Ist Evolution (immer) langsam?
Evolution funktioniert nach dem blinden Prinzip von Varianz und Selektion. Ihr treibendes Element ist der Irrtum. Im Code der DNA entstehen kleine Übersetzungsfehler. Ein Basenpaar wird
ausgetauscht oder fällt plötzlich weg. Ein Gen wird beim Auslesen unterdrückt oder aktiviert. So entsteht eine Mutationsvariante. So entstehen Millionen Varianten, von denen die meisten jedoch sofort wieder von der Umwelt aussortiert werden. Einige wenige Varianten erweisen sich als in irgendeiner Weise vorteilhaft für das Individuum, das damit seine evolutionäre Fitness erhöhen kann. Es kann in seiner Umwelt besser überleben, sich besser fortpflanzen und vermehren. So entsteht eine neue Art.
Evolution ist ein unendlich langsamer, gradueller Prozess, der über Millionen Jahre neue Spezies hervorbringt. So hat man es gelernt. Aber Evolution muss nicht immer langsam sein. Bei weißen Faltern in England veränderten sich die Farbpigmente innerhalb weniger Generationen von weiß zu schwarz, als der Ruß der industriellen Ära die Baumstämme schwarz färbte. Kaum verringerte sich die Umweltbelastung wieder, wurde dieser Prozess wieder revidiert – heute sind die meisten Falter wieder weiß. Bei Barschen im Victoriasee entstanden neue Varianten in weniger als tausend Jahren (was übersetzt auf das Tempo der Wirtschaft etwa einem Konjunkturzyklus entspricht). Guppys evolutionieren verschiedene Farben, die sie für Raubtiere sichtbar oder unsichtbar machen – oder eben nicht –, innerhalb von nur zehn Generationen. 2
Evolution kann also, wenn es darauf ankommt, richtig Gas geben. Warum das so ist, hat mit der genetischen Latenz zu tun. Die Möglichkeit des weißen Falters ist in der DNA von schwarzen Faltern »abgelagert«. Und umgekehrt. Auch früher schon gab es immer mal wieder schwarze Falter (so wie es schwarze Schwäne und Schafe gibt). Die jeweilige »Überlebensfarbe« wird durch die Umwelt lediglich schneller ausgelesen.
All dies geschieht jedoch nicht (wie es uns unser kontroll-sehnsüchtiges Hirn immer wieder vorgaukelt) mit Absicht und geplant. Mit Visionen oder Zielen hat die Evolution nichts am Hut. Der Mensch ist nicht das »Ziel« der Evolution, sondern nur ihr Ergebnis. Evolutionäre Prozesse bieten immer nur Hier-und-jetzt-Lösungen: Spezies und Individuen überleben in
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