Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
»A Study of History« (1934 bis 1954; die deutsche Fassung erschien unter dem Titel »Der Gang der Weltgeschichte«) ähnlich deterministische Geschichtsbilder zu verbreiten. Und erst in jüngerer Zeit gab Paul Kennedy mit »The Rise and Fall of Great Powers« (1987, deutsch »Aufstieg und Fall der großen Mächte«) einem vergleichbaren Zukunftsbild Nahrung.
Heute trifft man an jeder Ecke, an jedem Stammtisch, in jeder Talkshow auf waschechte Spenglerianer – obwohl kaum jemand diesen Traktat im Original gelesen haben dürfte. Verschwörungstheorien wuchern, und bisweilen führen sie zu bizarren Taten wie zuletzt der des norwegischen Killers Anders Breivik, der von einem »europäischen Imperium« träumte, das sich gegen »den Islam« behaupten müsse. China wächst? Der Westen ist auf dem Weg in den Untergang, man sieht’s ja in Europa! Die deutsche Bevölkerung schrumpft? Die Kopftücher werden uns überschwemmen! Die Jugend spielt zu viele Videospiele? Der Anfang vom Ende! Irgendetwas lässt uns fest daran glauben, dass jedem Aufstieg zwangsläufig ein Abstieg folgt. Und dass »Zivilisation« ein völlig unhaltbarer, prekärer, eigentlich unmöglicher Zustand ist.
Der Sog der Ruinen
Wer jemals die Maya-Pyramiden besichtigt hat oder durch Angkor Wat, die Hauptstadt der untergegangenen Khmer-Kultur, gelaufen ist, kann sich dem Untergangspathos nur schwer entziehen. Gewaltige Tempelanlagen, durch deren mit erotischen Friesen bedeckte Mauern lastwagengroße Wurzeln wuchern. Riesige Bewässerungssysteme, von denen nur noch die Grundmauern stehen. »Die Möglichkeit, dass eine ganze Zivilisation sterben könnte, verdoppelt unsere eigene Sterblichkeit«, formulierte einst Santo Mazzarino. 3 Wenn wir Ruinen besichtigen, spüren wir nicht nur der Vergangenheit nach. Wir betrachten unsere Zukunft. Wir vergleichen die Ruinen von damals mit den Hochhäusern von heute.
Zunächst sollten wir wissen, dass wir die Überreste einer ganz bestimmten Zivilisationsart inspizieren – der Pyramidalkulturen.
Bei den meisten zerbröckelnden Großbauten handelt es sich um die Überreste zentralistischer Sklavenwirtschaften, die ihre inneren Konflikte nur durch ständige Gewaltherrschaft und dauerhafte Expansion lösen konnten. Wenn es einen Grund des Scheiterns gab, dann war es gerade der »Urmythos« – der zu immer größeren und teureren Kult- und Monumentalbauten führte und schließlich den Ruin besiegelte.
Auch mit den berühmten 1000 Jahren ist es so eine Sache. Das ägyptische Reich dauerte in mehreren Phasen über 3000 Jahre, das assyrische existierte hingegen nur 130 Jahre. Die Blütezeit von Byzanz umfasst eine Kernzeit von 240 Jahren. Die arabisch-islamische Kultur dominierte Europa 246 Jahre. Das Osmanische Reich war immerhin 330 Jahre dominant. England »ruled the waves« rund 250 Jahre (mit einer kleinen Unterbrechung, als Napoleon den Engländern die Stirn bot). Das amerikanische »Imperium«, das sich derzeit angeblich im unweigerlichen Niedergang befindet, ist dagegen mit einer Lebensdauer von einem guten halben Jahrhundert eher ein Säugling.
Die Geschichte, wie Mark Twain anmerkte, wiederholt sich nicht, aber sie neigt dazu, sich zu reimen. Aus diesem Reimen ein »ehernes Gesetz« zu machen ist typisch menschlich, aber falsch. In der sechstausendjährigen Geschichte Chinas oder Japans, in der wechselhaften Historie Europas wimmelt es von Auf- und Untergängen, von Umzügen vom Hauptplatz in den Hinterhof, von Metamorphosen von Stadt- zu Zentral- zu dezentralen Staaten und wieder zurück. Das alte Griechenland ähnelte in vieler Hinsicht eher der konfusen EU von heute – es war ein loser Vielstaatenverbund, der sich immer wieder im Kampf gegen die Perser verbündete und zerstritt. Die Han-Dynastie, die China um Christi Geburt regierte, war vergleichbar mächtig wie die Tang-Dynastie (um 700) und die Ming-Dynastie (Chinas »Nahezu-Moderne« um 1400) – eine Kultur, drei zeitlich voneinander weit getrennte Blütezeiten. Geschichte ist eben kein homogener, auch kein kurvilinearer Prozess, in dem das Auf und Ab in sauberen Phasen vorgesehen ist. Wie sagte Winston Churchill so schön? »Die Zukunft ist ein verfluchtes Ärgernis nach dem anderen!«
Wenn wir auf Ruinen herumklettern, übersehen (oder vergessen) wir gerne, dass wir oft in unserem Leben durch äußerst lebendige »Ruinen« gehen. Viele großartige Städte sind auf den Trümmern ihrer selbst errichtet. Warum bauten die Londoner nach der großen
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