Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
absurd: Erst wo Grenzen existieren, können Menschen sich entfalten. Erst durch Differenz entsteht die Möglichkeit des Gemeinsamen. Charles Darwin, der die Entwicklung des Menschen zum Homo globalis schon vor 150 Jahren als evolutionäres Schicksal voraussah, meinte dazu:
»Während die Menschen in der Zivilisation fortschreiten, und kleine Stämme in größere Einheiten verschmelzen, sagt ihnen die Vernunft, dass sie ihre sozialen Instinkte und Sympathien auf alle Menschen ausdehnen sollten, selbst wenn sie persönlich nicht mit ihnen bekannt sind. An diesem Punkt gibt es nur eine künstliche, überwindbare Barriere, die uns von den Sympathien für alle Nationen und Ethnien trennt.« 5
Können wir lernen, die »künstliche, überwindbare Barriere« zu überwinden, von der Darwin spricht? Oder braucht es erst ein »Projekt«, von dem Nietzsche im »Zarathustra« im Sinne eines offenen Geheimnisses schrieb: »Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Völker gab es. Es fehlt das eine Ziel. Noch hat die Menschheit kein Ziel. Aber sagt mir doch, meine Brüder: Wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt – fehlt da nicht auch – sie selbst noch?« (»Von tausend und einem Ziele«).
Immerhin: Die Institutionen der globalen Welt sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten still und konstant gewachsen, internationale Organisationen, die helfen, einvernehmliche Lösungen innerhalb der gesamten Weltgemeinschaft zu finden, die Rechtsstaatlichkeit Stück um Stück auf planetarer Ebene zu realisieren, Krisen zu entschärfen und Völkermord zu verhindern.
Der internationale Gerichtshof in Den Haag hat viel zu tun – aber ist das nicht eher ein gutes Zeichen? Der Libyen-Konflikt brachte, nach der gemeinsamen Anstrengung im Kosovokrieg, einen weiteren Durchbruch – und eine Novität. Zum ersten Mal in der Geschichte verabschiedete der Sicherheitsrat gerade noch rechtzeitig eine Handlungsoption, Russland, China, Indien und Brasilien enthielten sich, aber sie stimmten nicht mit Nein, als der Sturm auf Bengasi bevorstand. Wenig später verhalfen französische Gruppen zudem einem Wahlsieger an der Elfenbeinküste zur legitimen Macht und stoppten ein Massaker. Der Kampf gegen die noch vorhandenen Bastionen der Barbarei hat in den letzten Jahrzehnten zweifelsohne Fortschritte gemacht. Trotz aller Mühsal, trotz Unzulänglichkeiten, Halbherzigkeiten sind wir auf dem Weg zur Weltpolizei.
Einerseits bemühen wir uns also, über die Grenzen hinweg zu globaler Gemeinsamkeit zu finden. Auf einer anderen Ebene gibt es ganz gegenläufige Bewegungen, da pflegen wir einen neuen »Lokalismus«, ohne deshalb grundsätzlich das globale Projekt in Frage zu stellen. Unsere Ernährung ist heutzutage wie keine andere menschliche Kulturhandlung von den Globalisierungsströmen geprägt. Gigantische Mengen von Schweinehälften, Schafskoteletts, Sojaderivaten, Kakao- und Kaffeebohnen, Zucker, Mais, Bananen
fließen rund um den Planeten. Einst lokale Produkte haben sich über den ganzen Erdball verbreitet. McDonald’s und Pizza, Cola und Energy Drinks gibt es inzwischen an jeder Ecke zwischen Tahiti und Timbuktu.
Aber tief in unserem Inneren sind wir nicht zufrieden, trotz oder wegen dieser Kalorienschwemme. Der alte Jäger, Sammler und Bauer in uns will wissen, was auf den Tisch kommt. Wir sind auf der Suche nach Lebensmitteln, die nicht mit dem hohen Preis der industriellen Abwertung der Natur verbunden sind. Das eröffnet ein gewaltiges Marktsegment für Regionalprodukte. Aber längst geht es nicht mehr nur um Produkte, sondern um die ganze Kultur, die mit unserer Nahrung verbunden ist.
»Locavoren« nennt man in den Metropolen der Welt jene Menschen, die sich der regionalen Nahrung verschrieben haben – und mit ihr eine Kultur der Entschleunigung und Essensbeziehung betreiben. Wir wollen das Schwein kennen, das wir essen! Das Gemüse hat einen Namen! In Italien ist die »Slow Food«-Initiative inzwischen zu einer etablierten Bewegung geworden. In amerikanischen Großstädten sprießen »Local Farmers Markets« aus dem Boden – eine Synthese aus Selbstversorgung und organisierter Nahversorgung. In Europa ist Gärtnern wieder in – großstädtische Schrebergarten-Areale beleben sich mit völlig neuen Zielgruppen. Wer heute im Tiefflug über Berlin fliegt, sieht Gemüsegärten auf den Dachterrassen, auf denen nicht nur Marihuana gezogen wird. Wenn es eine Trendbranche gibt, dann ist es das »Urban gardening«.
Es ist eine mental globalisierte,
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