Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Konfliktstoff womöglich auch.
Ein weiterer Verdacht gegenüber der Gobalisierung lautet: totale Gleichmacherei. Und in der Tat: Wer könnte die Boutiquenmeile von Lissabon von der in Shanghai oder Istanbul unterscheiden, wenn er nachts mit verbundenen Augen dorthin teleportiert worden wäre? Ein Starbucks an jeder zweiten Ecke, dazwischen Nike, Zara und Sony – der globale Konsumstil ist Realität.
Aber auch dieses Bild täuscht. Hinter der standardisierten Fassade verbergen sich immer neue Differenzierungen. McDonald’s serviert vegetarische Burger in Indien und Chili-Varianten in Mexiko. Dort nutzt Coca-Cola Rohrzucker statt Maiszucker wie in den USA. Man mag das für marginale Unterschiede halten. Aber dass der Popsender MTV in Indonesien fünfmal am Tag zum Gebet Richtung Mekka aufruft, ist ein bisschen mehr als das.
Statt an ihrem Ende stehen wir also erst am Anfang der Globalisierung. Die bestand bislang eher darin, die kulturellen und wirtschaftlichen Regeln des Westens nach Osten und Süden auszudehnen. Jetzt werden die Ströme der Globalisierung in der anderen Richtung zu fließen beginnen, wie dies ja im Übrigen auch früher schon der Fall gewesen ist: von Ost nach West und bald auch von Süden nach Norden. Dass diese Entwicklung nicht nur eine Eroberung oder einen Flüchtlingsstrom bedeutet, sollten wir bald beginnen zu verstehen. Der Aufstieg Asiens ist der endgültige Auf bruch ins Globale, das ist die schwer zu begreifende Botschaft des 21. Jahrhunderts. Was kann uns dabei helfen, mit den Ängsten vor einer wahrhaft globalisierten Welt umzugehen?
Die glokale Welt
Als der italienische Innovator Guglielmo Marconi Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Botschaften mittels Radiowellen verschickte, war die Krümmung der Erde altbekannt. Umso größer war die Verblüffung, als in Marconis Experimenten mit Langwellen immer wieder das »Eiserne Gesetz der Entfernung« außer Kraft gesetzt wurde. Eigentlich ist die Reichweite von Radiowellen durch die Erdkrümmung auf etwa 50 Kilometer begrenzt. Aber die Wellen waren auch noch jenseits des Horizonts zu empfangen! Es dauerte
noch bis ins 20. Jahrhundert, um zu verstehen, dass bestimmte Luftschichten und Wolkenformationen Radiowellen reflektieren und sie um weite Teile des Planeten herumlenken können.
So ähnlich funktioniert Glokalisierung. Sie ist eine intelligentere, subtilere Form der eher groben, flachen Globalisierung, die wir bislang gewohnt sind. Sie verzichtet auf die falsche Sentimentalität der Rückwärtsgewandtheit, weil sie weiß, dass sie dort nirgendwo ankommen wird. Aber sie misstraut auch der Nivellierungseuphorie. Die Welt muss nicht entweder flach oder rund sein. Sie kann beide Zustände zugleich annehmen, den globalen und den lokalen. Wir können die Krümmung überwinden – und trotzdem einen Horizont haben. Oder: Wir können Globalisierung aushalten, wenn wir uns auf neue Weise auf das Lokale beziehen. In der Sprache der Poesie: Wir können Wurzeln und Flügel haben.
Die glokale Welt entsteht in dem Maße, in dem die riesigen taylorisierten Wertschöpfungsschleifen, die sich heute über den Planeten ziehen, ihre ökonomische Effektivität und Hebelkraft verlieren. Im energiekritischen Zeitalter steigen die Energiekosten, die für den Transport von Gütern und Produkten nötig sind. Ebenso rapide wachsen die Arbeitskosten in den Schwellenländern. Chinas Löhne stiegen in den letzten Jahren um zwölf Prozent jährlich! Wenn diese Tendenz sich fortsetzt, würde ein chinesischer Facharbeiter im Jahre 2020 drei Viertel eines amerikanischen oder europäischen verdienen.
In einer komplexeren, vielschichtigeren Welt sind glokale, dezentrale Netzwerke deutlich robuster als jene zentralisierten Just-intime-Konfigurationen, in denen winzige Einzelteile um den ganzen Planeten gekarrt werden. Produktionsformen, die sich aus lokalen, stabilen Ressourcen – von Arbeit, Ideen, Materie – bedienen, wo immer dies sinnvoll ist, die aber dennoch eingebunden sind in einen größeren Kontext, können besser mit Störungen umgehen. Auch die politischen Strukturen ändern sich. Politik der Zukunft wird stärker Lokalpolitik, Stadtteilpolitik, Regionalpolitik. Hier – und nur hier – kommt es zu einer Rekonstitution des Politischen, in der Idee der lokal verankerten Zivilgesellschaft.
Vielleicht ist die glokalisierte Welt schon näher, als wir glauben. Ihre symbolische Vorhut wird von einem Sport gebildet, der in der globalen Welt einen
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