Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Psychologie, der Soziologie oder der politischen Wissenschaften, galten klare Kennziffern und Gesetze:
Kaufkraft, Löhne, Zu- und Abnahme der Geldmenge, Inflationsrate, Goldreserven, die Höhe der Staatsverschuldung, Arbeitszeit und Produktivität bestimmten die Wirtschaftskraft und damit die Zukunftsfähigkeit eines Landes. Die Ökonomie funktionierte mit der Logik eines Uhrwerks: Wenn man an bestimmten Schrauben dreht, kommt etwas Bestimmtes heraus.
Spätestens nach der Finanzkrise von 2008 mit ihren ständig weiter um den Planeten kreisenden Schockwellen wird klar, dass diese Auffassung eine Illusion war. Die »Masters of the Universe« haben sich als Taschenspieler herausgestellt. Die klassische Ökonomie ist keine Wissenschaft vom Menschen, und deshalb kann sie die Welt nicht wirklich erklären. Geschweige denn deren Zukunft prognostizieren.
Kondratieff brach dieses reduktionistische Konzept des Ökonomischen schon vor einem Jahrhundert auf – ein Grund, weshalb seine Theorie bis heute von den Ökonomen eher belächelt wird. Er begriff Fortschritt, Wachstum und Wohlstand als Resultat eines gesellschaftlichen Prozesses, einer Interaktion zwischen verschiedenen menschlichen Sphären. Der Markt ist keine Mathematik, sondern ein Kultursystem, in dem Technologie und menschliche Organisation interagieren. »Märkte sind Kommunikationen«, wie es das Cluetrain-Manifest, jenes rebellische Internet-Pamphlet, das die »Neue Ökonomie der unbegrenzten Datenräume« propagierte, im Jahre 2000 klarstellte.
Dabei war Kondratieff durchaus ein Zweifler. Er war sich nie ganz sicher, ob der Kern seiner Zyklentheorie – die Existenz der 50- bis 60-Jahresrhythmen – wirklich stimmte und nicht alles dem Zufall entsprang. Seine Datenlage war dünn. Die damalige »kapitalistische Wirtschaft« bestand aus Deutschland, England, Frankreich, Amerika und ein paar kleinen Ländern. Statistische Methoden waren unzureichend, Daten schwer zu bekommen. Doch er hielt an seinem Wellenmodell fest und schloss den Zufall aus, da er genügend Übereinstimmungen in allen wichtigen Bereichen des Wirtschaftslebens in den kapitalistischen Ländern Europas fand.
Mit Unsicherheit hatte Kondratieffs größter Bewunderer, der österreichische Fabrikantensohn und Lebemann Joseph Schumpeter, weniger Probleme. Er machte die Zyklen zum Zentrum seiner Theorie der schöpferischen Zerstörung. Schumpeter bezog sich ausdrücklich auf Kondratieffs Werk und schrieb es nach dessen Tod in vielerlei Hinsicht weiter.
Die kreative Zerstörung
Joseph Alois Schumpeter war ein Apologet des Wandels, ein Propagandist der Unruhe – und ein Mensch, der das persönliche Scheitern zu einer Art Lebensstil erkor. 1883 in Mähren als Sohn eines Fabrikanten geboren, verlor er seinen Vater früh und besuchte das Elite-Gymnasium Theresianum in Wien, wohin seine Mutter in zweiter Ehe geheiratet hatte. Er studierte Recht und Nationalökonomie, war der jüngste Professor der k. u. k. Monarchie und galt bald als Anwärter auf ein Staatsamt. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde er 1919 Finanzminister der jungen österreichischen Republik. In dieser Rolle hatte er eine Aufgabe zu bewältigen, gegen die die heutigen Probleme der Euroländer-Stabilisierung geradezu als Kinderspiel erscheinen. Aber es ging um ähnliche Themen: Abbau der Staatsschuld (in einem durch den Krieg ruinierten Reststaat), rigides Sparprogramm, Einführung von Verbrauchs- und Vermögenssteuern, Wiedergewinnung des Vertrauens der Investoren in die geschrumpfte Wirtschaft.
Kein Wunder, dass Schumpeter an dieser Titanenaufgabe scheiterte – trotz seines legendären Redevermögens und seiner diplomatischen Fähigkeiten. Als Konservativer in einem sozialdemokratischen Kabinett konnte er sich genau sieben Monate halten. Dann verschafften ihm einflussreiche Freunde als Notausgang die Präsidentschaft einer Privatbank. 1924 wurde die Bank, die längst pleite war, an einen englischen Investor verkauft. Noch 15 Jahre lang musste er seine Schulden abbezahlen, wofür er sein Professorengehalt, seine Vortragssaläre und die Honorare für seine Bücher einsetzte.
Schumpeter war ein früher Globalist und er war ein Lebemann, sein öffentliches Auftreten ähnelte einer Mischung aus Donald
Rumsfeld und Silvio Berlusconi – noch als Bankdirektor fuhr er gerne mit der Kutsche und schönen Mätressen durch Wien. Und er war so genialisch wie manisch-depressiv. An Freunde und »Geistesbrüder« schrieb er unentwegt Briefe,
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