Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Burnout. Endogene Depression. Chronisches Müdigkeitssyndrom. Boreout. Das »Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom« (ADHS). Hinter diesen neuen Begrifflichkeiten stecken meist uralte Befindlichkeiten, die aber jetzt als Krankheit »geoutet« werden, weil sie einen (negativen) ökonomischen Wert bekommen. Selbst Rückenschmerzen, die in der Industriewelt massenhaft durch das Tragen zu schwerer Lasten entstanden, werden neu codiert als Ausdruck seelischer Verspannungen (meist sind sie schlichtweg Resultat von Verkümmerungen ganzer Muskelgruppen durch passiv-sitzende Lebensweise). All diese neuen »Errungenschaften« werden nun konsequent ökonomisiert – in Kosten, Therapien, Ärzten, Ausbildungen, Medikamenten, Kuren und so fort. Produktiv ist das nicht. Jedenfalls nicht für die Gesamtgesellschaft.
Der klassische »Krankheitssektor« – der medizinisch-operativmedikamentöse Komplex, um das einmal salopp auszudrücken – wird uns eher ruinieren als uns Wohlstand bringen. Er vernichtet Produktivität, indem er gewaltige Mengen Kapital und Investitionen bindet, ohne ein Äquivalent an Produktivität zurückzugeben. Er ist wie eine Krake, die die Produktivität der Gesellschaft eher »aussaugt« als befördert. Dennoch gäbe es eine Vielzahl sehr bedenkenswerter Ratschläge, die den »Krankheitssektor« entlasten würden. Unter der Überschrift »Less is more« hat die amerikanische Ärztevereinigung National Physicians Alliance (NPA) eine Checkliste für eine sinnvolle, bezahlbare Medizin erstellt. Das Ziel der Mediziner ist es nicht primär, Geld zu sparen, sondern die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Die Vorschläge handeln vor allem davon, was man unterlassen sollte, etwa, dass man bei Rückenschmerzen in den ersten sechs Wochen kein Röntgenbild, Kernspin oder CT (ausgenommen sind Patienten mit Lähmungen oder anderen Grunderkrankungen) benötigt, denn Kreuzschmerzen verschwinden überwiegend von allein wieder. Die frühe Bildgebung hat keinerlei Vorteile für den weiteren Verlauf des
Leidens gezeigt. Bei symptomfreien Erwachsenen benötigt man nach Ansicht dieser Ärzte auch keine Blut- oder Urintests. Das Bestimmen der Laborwerte führt nicht dazu, dass Krankheiten früher entdeckt oder besser behandelt werden. Bei banalen Atemwegsinfekten sollte man, sofern nicht Streptokokken im Spiel sind, auf Antibiotika verzichten, da die meisten dieser Infektionen von Viren ausgelöst werden und nicht auf Antibiotika reagieren. Die verbreitete Behandlung mit Antibiotika führt seit vielen Jahren zu ernsthaften Umweltbelastungen (Antibiotika werden über Kläranlagen in die Landwirtschaft getragen), Resistenzen und immer höheren Kosten. Man stelle sich vor, solche Ratschläge würden sich durchsetzen. Pharmafirmen und Ärzte würden einen Gutteil ihres einträglichen Geschäfts verlieren, ohne dass die Gesundheit Schaden nähme. Volkswirtschaftlich wäre es ein Segen.
Für unsere Diskussion bleibt die Frage nach der Quelle des nächsten großen produktiven Aufschwungs. Der klassische »Krankheitssektor« fokussiert wie gesagt die Aufmerksamkeit auf Krankheiten anstatt auf Potenziale. Wenn wir umgekehrt vom »Gesundheitssektor« sprechen, der die »psychosoziale Gesundheit« auf der Vorsorgeseite befördert, benennen wir eine Utopie, die sich schwer ökonomisch darstellen lässt. Auch hier gilt das Gesetz, dass Produktivität noch nicht durch Vermeidung oder Reparatur steigt, sondern nur durch das Erschließen neuer Dimensionen. Worin genau die liegen könnten, scheint noch nicht recht klar.
In Norwegen fand gerade eine Studie an 50 000 Teilnehmern heraus, dass auch Theater- und Opernbesuche den Gesundheitsstatus verbessern. 7 Damit sind 80 Prozent der Menschen schon überfordert. Tut sich hier vielleicht eine gigantische produktivitätssteigernde Marktlücke auf?
Die Knappheit Bildung
Dem klassischen, humanistischen Bildungsideal zufolge ist Bildung die Ausprägung und Anleitung des Menschen zu höheren kognitiven Fähigkeiten. Sie soll ihn befähigen, geistige Erkenntnisstufen zu erringen, seine inneren Motive und Leidenschaften zu erkennen
und zu entfalten. Sie ist, wenn man so will, der Kern des Individualisierungsprozesses.
Im Kontext industrieller Kulturen meint Bildung hingegen in allererster Linie Ausbildung. Sie ist Einpassung, Formung auf einen »Arbeitsplatz« oder eine »Karriere« hin. Im Vordergrund steht hier die Frage: Was braucht der Arbeitsmarkt?
Ein Ausbildungskonzept basiert auf
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