Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
einer Fläche von einigen hundert Quadratkilometern in den Wüstengebieten könnte man die gesamte Stromversorgung Europas sicherstellen. 5 Dazu kommen Wind, Gezeitenkräfte, Geothermie, Biomasse der zweiten und dritten Generation, die nicht mehr in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen muss. Und alles, was wir heute noch nicht entdeckt haben oder geschickter nutzen können oder mit ein wenig mehr technischer Eleganz nutzbar machen können. (Dass im Laufe dieses Jahrhundert eine neue Generation von Kernkraftwerken und womöglich Fusionsreaktoren ans Netz gehen werden, lasse ich hier außer Acht. Eine hochintensive Energiequelle wird früher oder später kommen. Für den Schritt der Menschheit in den Weltraum wäre sie unabdingbare Voraussetzung. Aber das ist einstweilen Science-Fiction.)
Die Menschheit hat also kein »objektives« Energieproblem. Dies ist wichtig zu wissen, denn komplexe Gesellschaften sind, wie wir im ersten Teil gesehen hatten, immer energieintensiv. Wir sollten aber die Macht, mit der die fossilen Energien unsere Systeme, aber auch unser Bewusstsein geprägt haben, nicht unterschätzen. Hier liegt das zentrale, das mentale, das strukturelle Problem. Öl ist wie eine Droge. In jedem Barrel Öl – 159 Liter – befindet sich so viel gespeicherte Energie, dass ein Mann 20 Jahre lang 14 Stunden täglich, 7 Tage die Woche körperlich arbeiten müsste, um dieselbe physische Arbeit zu leisten. Öl (wie auch die anderen fossilen Vorkommen) ist das hochkonzentrierte Energiegeschenk des Planeten an die Menschheit. Es hat uns den wahrhaft billigen Eintritt in die technische Zivilisation ermöglicht.
Der unglaubliche Energiereichtum, den unsere Vorfahren nur aus dem Boden pumpen mussten, trieb die Evolution der Technik in eine bestimmte Richtung voran: Es entstanden vielfältige Formen von Brennkammern, Einspritzdüsen, Kolben und zentralen Energieversorgungskathedralen. Fragen der Effizienz der Technologien traten dabei völlig in den Hintergrund, das Öl floss ja reichlich. Die fossile Energiewirtschaft bildet eine wichtige Grundstruktur unserer Ökonomie und hat eine Energiekultur hervorgebracht, die auf Gewohnheiten beruht, die wir nicht einmal mehr registrieren. Wenn es kalt wird, machen wir die Heizung an. Wenn wir in die Stadt wollen, nehmen wir das Auto …
Produktivität entsteht nicht einfach dadurch, dass etwas knapp wird. Sondern dass etwas sehr viel effektiver wird. Wenn wir einfach nur Energie sparen – uns beschränken, vernünftiger sind, die Heizung herunterdrehen – erfolgt zwar ein Einspareffekt, aber der macht noch nicht produktiver. Was passiert, wenn die wie Subventionen wirkenden fossilen Brennstoffe nicht mehr zur Verfügung stehen? Könnte die Umstellung der Energieversorgung auf einen Mix aus nachhaltigen Energieformen einen neuen Kondratieff-Zyklus auslösen?
Von der Nachfrageseite her durchaus: Wenn wir Energie aus Wind, Wasser, Sonne, Biomasse, Gezeitenkraft in einem System
vernetzen, ist dies ein klassisches Beispiel für jene kapitalintensiven technologischen Infrastrukturen, wie es die Kanäle, Eisenbahn-, Strom- und Straßennetze sowie das Internet waren. Ein Energieversorgungsnetz (energy grid), das intelligent Strom aus unterschiedlichen Energiequellen einspeist, transportiert, speichert und in Haushalte liefert, erfordert in nächster Zukunft enorme Investitionen und Innovationen im Bereich der Energiegewinnungs- Speicher-, Material- und Steuertechnik. Ein Fest für Investoren aus allen möglichen Branchen: Das neue Netz ist Hightech und Lowtech und Hypertech in einem.
Dennoch gibt es einen Unterschied zu den vergangenen Entwicklungsschüben: Eisenbahnnetze, Straßen, Stromleitungen und das Internet fügten der Welt immer eine spektakuläre neue Dimension hinzu. Das neue Energieversorgungsnetz hingegen wird die alte Struktur der Öl-, Gas-, Stromleitungen und Kraftwerke nur ersetzen. Es wird, im direkten Vergleich der Kosten, teurer werden als das alte auf fossilen Brennstoffen basierende Netz, einfach weil regenerative Energien weniger konzentriert vorliegen als das energiereiche Öl. Es ist eher eine Rückzugs- und Substitutionstechnik; eine Strategie, mit der wir uns gegen Wohlstands- und Komplexitätsverlust absichern. Es wird uns Geld, Schweiß, Intelligenz und Alltagsveränderung abfordern. Es kann, in gewissem Maße, die Demokratisierung der Gesellschaft vorantreiben, weil eine hochgradig zentralistische Energieversorgung, wie wir sie in der Zeit
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