Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Wissensökonomie, in die wir hineinwachsen, überhaupt erst ermöglichen. Um diese Erkenntnis zu fundieren, müssen wir uns im nächsten Schritt intensiver mit einem bislang eher am Rande erwähnten Megatrend beschäftigen. Dem Megatrend zu einer neuen Arbeitswelt.
15 Das eherne Gehäuse der Hörigkeit
Vor einiger Zeit stimmte ich in jugendlichem Leichtsinn einer Einladung zu einer Polit-Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu. Die Debatte sollte sich um die »Zukunft der Arbeitswelt« drehen, ein von ewigen ideologischen Lavaströmen umflossenes Thema. Am Ende lautete der Titel in typischer Boulevardmanier: Abgezockt und abgetrasht – wie Arbeitnehmer über den Tisch gezogen werden.
Als Experten in der Runde dienten die üblichen Spitzensportler der ritualisierten Empörungskultur. Ein porschefahrender Funktionär einer sozialistischen Splittergruppe, der unentwegt auf »Bonzen« und »Ausbeuter« schimpfte. Ein sehr konservativer Unternehmer, der gegen den »terroristischen Lohndiktat-Staat« grantelte. Ein Experte der Sozialbehörden, der nur von »Fallkennziffern« und »Anpassungspauschalen« redete. Die Moderatorin, vor ihrer Zeit als Quotendiva eigentlich eine kluge Frau, versuchte, die Diskussion im Namen der Einschaltquote nach allen rhetorischen Regeln zu polarisieren. Drücken Sie sich bitte möglichst klischeehaft aus, damit unser Publikum auch genug Spaß hat!
Dass ihr dies nicht völlig gelang, lag am eigentlichen Star der Sendung. Eine resolute Putzfrau aus Bayern, mit robustem Körperbau und einer Stimme wie ein Motorradauspuff. Sie erzählte im tiefsten Dialekt, wie sie sich für 6,50 Euro im Auftrag einer Leiharbeitsfirma die Finger wundscheuert – seit 25 Jahren. Wie ihr nach und nach die Pausen gestrichen wurden. Wie die Angestellten einer Werbeagentur ihr nachts um zwölf Zigarettenkippen in den Scheuereimer schnippen. All das berichtete sie wortreich und völlig ohne Angst vor Sanktionen.
Das Publikum, in dem überwiegend Rentner saßen, schüttelte den Kopf und machte »Ts-ts«. Der Sozialist rüttelte an seinem Stuhl und warf zum hundertdreiundzwanzigsten Mal das schöne Wort »neoliberalistisch!« in die Runde.
Nebenbei erzählte die Putzfrau, dass ihre drei Töchter aufs Gymnasium gingen. Eine studierte inzwischen in Amsterdam Modedesign.
»Moralisiern loss i mi net, aber der Lohn is a Sauerei!«, sagte sie. Sie meinte natürlich demoralisieren, und irgendwann konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich fragte: »Warum machen Sie sich nicht selbstständig? Bei Ihrem Kommunikationstalent? Ich glaube, Sie könnten eine kleine Firma gründen. In einer wohlhabenden Stadt wie München müsste sich auch ein anderer Markt finden lassen.«
Eine Sekunde später wurde mir klar, dass ich einen fatalen Tabubruch begangen hatte. Im Studio brach Tumult aus. Sogar die resigniert wirkenden Rentner auf den Zuschauerplätzen buhten. Der Sozialist nannte mich einen dekadenten Neoliberalen, der mal in eine Fabrik arbeiten gehen solle, der Sozialarbeiter einen Traumtänzer, und die Moderatorin sprach von einem »rhetorischen Lapsus«. Die Putzfrau lachte nur, und sagte: »Jo mei.«
Was auch immer man in solchen Betroffenheitsdebatten äußert: Nie darf man das Fundament unseres Sozialkontraktes infrage stellen. Jene heilige Ordnung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in der nur Abhängige und Mächtige, Gebende und Empfänger, Täter und Opfer existieren. Für immer verbunden in der Symbiose des Lohnarbeitssystems.
Das moderne Lohnarbeitsverhältnis
Zu allen Zeiten lebten Menschen in Abhängigkeiten – von der Natur, von anderen Menschengruppen, von Mächtigen, Ausbeutern und Tyrannen. Die moderne Gesellschaft hat die meisten direkten Hörigkeitsverhältnisse abgeschafft. Aber eine Abhängigkeit hat sich sogar noch verstärkt: das Lohnarbeitsverhältnis.
Zu Beginn der industriellen Revolution, im Übergang aus der Welt der Subsistenz, war man als abhängig Beschäftigter ohne
Absicherung, ohne Rechte, ohne jede Würde. In den Spinnereien und den Bergwerken und Fabriken der frühen Kohle- und Eisenindustrie reichte der Lohn kaum für den Lebensunterhalt. Zu groß waren die Menschenmassen, zu groß die Familien, die aus den agrarischen Regionen in die neuen Ballungsgebiete strömten. Zu gering die Produktivität, um auch nur die nackte allgemeine Not zu lindern, geschweige denn verteilbaren Wohlstand zu generieren.
Die »Zähmung« der Lohnarbeit zu einem rechtlich gesicherten Verhältnis ist
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