Das Midas-Kartell
Haar. Sie hatten die Nacht dicht aneinandergeschmiegt verbracht, weil es durch die Bodendielen eiskalt hereingezogen hatte. Kurz vor Mitternacht war ein Teller mit kaltem Fleisch und Käse unter der Tür hindurchgeschoben worden. Natalie hatte alles probiert, bevor sie ihre Tochter davon essen lieÃ. Manchego, hauchfein geschnittener Serrano, Brot, Obst, darunter frische Feigen und Mango. Sie fragte sich immer noch, wer sie wohl gefangen hielt. In Chelsea waren Lebensmittel dieser Qualität kaum zu bekommen.
»Wann kommt Daddy?«, fragte Mila gähnend und öffnete die Augen. »Du hast gesagt, er kommt und hilft uns, und dann ist das Spiel zu Ende.«
»Ich bin sicher, er kommt bald, Liebes. Dann können wir nach Hause.«
»Kommt Guy auch?«
»Ich glaube nicht. Er ist zurzeit unterwegs. Aber Daddy kommt. Da kannst du sicher sein.«
Natalie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. In ihre Wut auf Markus, weil er sie in diese Situation gebracht hatte, mischte sich die Hoffnung, die sie mit ihm verband. Gegensätzlicher konnten Gefühle nicht sein.
Von der anderen Seite der Tür drang ein Geräusch, das sie auch während der Nacht immer wieder gehört hatte, als würde jemand schwer atmen. In der Nacht hatte sie es ignoriert, hatte es Mäusen oder sonstigen Kleintieren zugeschrieben, die hier herumkreuchten. Doch jetzt nahm sie Mila auf den Arm und ging langsam zur Tür, um durch den Spalt zu lugen. DrauÃen wurde es allmählich Tag. Ein Scharren, dann eine groÃe Gestalt, die sich abwandte und mit eingezogenen Schultern über den Hof davonhastete. Der Kerl schien mit seiner Hose zu kämpfen, es sah aus, als versuchte er, sie im Rennen hochzuziehen.
Natalie wurde übel, und sie legte ihrer Tochter die Hand auf die Augen, ehe sie sie auf den Boden setzte. »Bleib bitte einen Moment da sitzen«, sagte sie.
Mila reckte ihr die Ãrmchen entgegen, wollte lieber hochgenommen werden. »Ich hab aber Hunger.«
»Ich weiÃ, Schatz, gib mir nur einen Moment.«
Natalie fing an, mit den Fingerspitzen über die Wand zu kratzen, so fest, dass ihre Nägel brachen. Irgendwo musste hier doch ein Spalt sein, ein loser Stein, lockerer Mörtel, irgendetwas, das vielleicht einen Ausweg aus ihrem Gefängnis bieten konnte.
61
Heathrow Airport, 13:00 Uhr
Markus folgte dem Strom müder Passagiere durch die endlos scheinenden Flure des Flughafens. Gelbe Schilder kündigten den Passkontrollschalter an. Er sah auf seine Uhr. Kurz nach zehn Uhr Ortszeit war er in Guatemala in den Flieger gestiegen. Erstaunlich, dass er das ohne Glorias Hilfe geschafft hatte, so wie die Anzeigetafel vor seinen Augen verschwommen war. Dann elf Stunden in der Luft. Der wechselnde Luftdruck hatte seinen fiebrigen Zustand noch verschlimmert; es hatte sich angefühlt, als wollte jemand das Mark aus seinen Knochen quetschen.
Lange Warteschlangen hatten sich vor den Schaltern gebildet. Er stellte sich bei den EU-Mitgliedern an. Der Zollbeamte musterte ihn skeptisch, ehe er die Stempel in seinem Pass prüfte.
»Langer Flug«, sagte Markus entschuldigend. »Und dann auch noch Migräne.«
»Lange Reise für die paar Tage.«
»Bringt der Job so mit sich«, erklärte Markus und hielt dem Beamten seinen Presseausweis hin.
Der Mann gab ihm den Pass zurück und winkte ihn durch.
Noch vier Stunden bis zum Anruf. Er zog sein Handy heraus und starrte einen Moment lang darauf. Steves Handy.
Nächste Etappe: Ankunftshalle, Autovermietung. Er brauchte einen Wagen, damit er mobil war, wenn sie ihn irgendwohin lotsen wollten. Er angelte die Pillen aus seiner Hosentasche, die ihm der Arzt in Guatemala verschrieben hatte, und schob sich eine Handvoll in den Mund.
»Ich brauche ein Auto, ein möglichst schnelles.«
Die Frau hinter dem Tresen beäugte ihn argwöhnisch. Eine der weiÃen Tabletten war in seinem Mundwinkel kleben geblieben und fiel schlieÃlich zu Boden.
»Kopfschmerzen«, erklärte er.
»Ich weià nicht, ob Sie wirklich imstande sind, Auto zu fahren.«
»Ich will nicht sofort fahren, frühestens in ein paar Stunden. Ich wollte mir nur erst einen Wagen organisieren und mich dann aufs Ohr hauen.«
Die Frau überlegte kurz. »Okay, Führerschein und Kreditkarte, bitte«, sagte sie dann und richtete ihren Blick auf den Monitor. »Wir haben in unserer Prestige-Collection einen BMW
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