Das Midas-Kartell
Gerät piepste, hatte aber keinen Empfang.
Er blickte auf den Umschlag, den er auf den Beifahrersitz geworfen hatte. Es war ihm gar nicht mehr bewusst gewesen, dass er ihn unter dem Arm gehabt hatte. Die Briefmarken waren grellbunt, ein grün-rotes Karomuster und in der Mitte das Profil eines streng dreinblickenden Mannes. Der schwarze Poststempel war zur Hälfte verschmiert: Correos de ⦠Der Rest war nicht zu entziffern. Aus Spanien? Lateinamerika? Albert hatte ihn gestern angenommen, und es hatte ihn das Leben gekostet. Was konnte so wichtig sein?
Markus nahm den Umschlag und riss mit den Zähnen daran. Als er ihn beinahe geöffnet hatte, musste er scharf bremsen, weil das Taxi vor ihm eine unerwartete Wendung machte. Der Inhalt des Päckchens fiel ihm auf den Schoà und verteilte sich im FuÃraum. Verdammt noch mal . Ãberall war Pa pier, sogar unter den Pedalen. Er bog in eine SeitenstraÃe ab.
Abseits der HauptstraÃe brachte Markus den Wagen zum Stehen und sammelte die losen Blätter auf. Er hatte keine Ahnung, was sie zu bedeuten hatten, abgebildet waren endlose Reihen von Zeichen, bestehend nur aus Nullen und Einsen. Zwischen den Blättern fanden sich ein paar einzelne Seiten aus Zeitungen und Magazinen, abgerissene Fahrkarten, das Bild einer spanischen Barockkirche aus einem Reiseführer und eine altmodische Tabakdose. Als er die Dose öffnete, blickten ihm Sorgenpüppchen entgegen, aus bunten Fäden eng gewickelt, mit winzigen schwarzen Perlen als Augen. Es war wie eines dieser Gedächtnisspiele: Präge dir die Gegenstände gut ein und verdecke sie dann mit einem Geschirrtuch; versuche, so viele wie möglich davon zu benennen.
Er griff nach einem Bild, dunkelrot, mit fetten gelben Lettern. Ein Ausriss aus einem Superman-Comic. Die Fahrkarten waren ausgestellt auf: Snr Wiseman D.E.
Wiseman? Von dem hatte er schon länger nichts mehr gehört. Das letzte Mal hatte er ihn gesehen, als er auf dem Weg zu einer Besprechung mit dem Bildredakteur der Sunday Times war. Vor dem Eingang hatte ein nervöser Typ auf ihn gewartet, mit geröteten Wangen, und die Haare klebten ihm an der verschwitzten Stirn. Markus hatte ihn gar nicht erkannt, er hatte ziemlich abgenommen, so sehr, dass es schon nicht mehr gesund aussah.
»Markus? Markus Cartright? Bist du das?«
Markus hatte den Mann angestarrt. Er war spät dran, und seine ohnehin begrenzte Geduld war für den Taxifahrer draufgegangen, mit dem er darüber gestritten hatte, welcher der kürzeste Weg zur Redaktion der Sunday Times sei.
»Ich binâs, Danny, wir waren zusammen im Internat. Ich war vor ein paar Jahren mal in einer Ausstellung von dir.«
Markus war das derangierte ÃuÃere des Mannes nicht entgangen, der Jogginganzug, den er unter seinem Kamelhaarmantel trug, und die aufgesetzt fröhliche Miene, die den gehetzten Blick in seinen Augen aber nicht verbergen konnte.
»Danny?«, hatte er fragend erwidert. Er hatte nur noch eine vage Erinnerung an die Ausstellung, die Daniel meinte. Er hatte damals eine Fotostrecke über Kinder in den Favelas von Rio de Janeiro gemacht, die als Kuriere für die Drogengangs der Stadt arbeiteten, um überleben zu können â der Auftrag einer Stiftung für deren Weihnachtskampagne. Am Abend der Ausstellungseröffnung hatte er sich die Erinnerung an die Slums aus dem Hirn gesoffen, bis er so voll war, dass er der Stiftung sogar ein paar Hundert Pfund aus seinem Erbe gespendet hatte. Es war eines der wenigen Male gewesen, wo er das Geld ohne schlechtes Gewissen ausgegeben hatte. Daran erinnerte er sich noch. Ob er bei der Gelegenheit mit einem alten Schulkameraden gesprochen hatte, wusste er jedoch nicht mehr so genau.
»Ach ja, stimmt. Schön, dich zu sehen, Danny. Aber hör zu, ich â¦Â« Er musterte sein Gegenüber erneut. Danny sah aus, als hätte er in seinen Klamotten geschlafen und schon länger nicht mehr vernünftig gegessen. »Du siehst prima aus. Aber hör zu, ich kann jetzt nicht, ich bin auf dem Weg zu einem Meeting. Ruf mich doch mal an. Dann können wir über alte Zeiten quatschen.« Er wollte sich an Danny vorbeischieben, doch der rührte sich nicht vom Fleck. Er sah aus, als wollte er etwas sagen, doch dann machte er einen Schritt zur Seite, langsam und bedächtig, so als habe er Schmerzen.
»Wie ist deine Nummer?«, wollte er wissen.
Markus war schon fast durch die
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