Das Midas-Kartell
Drehtür. »Ruf die Bildredaktion an, die geben sie dir«, rief er über die Schulter.
Markus hatte am Empfang seinen Ausweis gezeigt und sich beeilt, zu seinem Meeting zu kommen. Als er sich kurz nach drauÃen umblickte, war die einsame Gestalt in dem Kamelhaarmantel verschwunden.
Er hatte keinen weiteren Gedanken mehr an den Vorfall verschwendet. In den folgenden Wochen waren immer wieder Nachrichten auf seinem Handy gewesen, in denen der alte Schulkamerad fragte, ob sie sich nicht auf einen Drink treffen wollten, doch er war zu den entsprechenden Zeiten nie in London gewesen. Er hatte sich aber auch nicht die Mühe gemacht zurückzurufen.
Markus hob die restlichen Blätter vom Boden auf und wollte sie zurück in die Verpackung stecken, als ihm die Polaroids ins Auge fielen.
Es waren zwei, und sie hatten sich in einer Naht des Umschlags verklemmt. Auf dem ersten war nicht viel zu erkennen, nur ein verschwommenes Gesicht in einer dunklen Umgebung. Die Kamera war zu dicht gewesen, sodass die Gesichtszüge stark überbelichtet und der Hintergrund fast schwarz waren. War das eine Frau? Es sah aus, als wäre ein Arm nach hinten gebogen, nein, beide Arme. Markus schaute genauer hin. Die Glieder schienen mit der Dunkelheit zu verschmelzen, auch die Beine, und sahen aus wie an Ellbogen und Knie abgetrennt. Er betrachtete das Gesicht der Frau, den Trotz in ihren Augen. Sie wollte, dass das Foto gemacht wurde. Sie wollte beweisen, dass sie keine Angst hatte, dass sie sich nicht geschlagen gab. Er nahm das zweite Foto. Kalkweià vor dunkelbraunem Hintergrund. Gelbe Locken und etwas Rundes aus Plastik, in dem sich das Blitzlicht fing. Eine Puppe. Ein Kinderspielzeug. Und, fast unkenntlich verformt von Schmutz und Schlamm, kleine Finger, die nicht davon lassen wollten.
Auf der gegenüberliegenden StraÃenseite war ein Café, aber die Vorstellung, jetzt die Polizei zu rufen und inmitten von lauter Fremden zu sitzen und zu warten, schien ihm wenig angenehm. Zum zehnten Mal las er die Adresse auf dem Umschlag. Die Sendung war tatsächlich für ihn bestimmt. Er lieà den Motor an und stöhnte vor Schmerz, als sich die Splitter von der hölzernen Umzugskiste in sein Fleisch bohrten. Er musste jetzt irgendwohin, wo er sich sicher fühlte.
10
Jacob schleppte die Ausrüstung die Treppe hoch, zwei schwere, luftdichte Leichensäcke und einen Pumpkanister mit schnell härtendem Polymerharz. Er hatte einen Overall an, was im Grunde praktisch war, doch die Beine waren zu lang, und der Saum verfing sich immer wieder in seinen Schuhen. Isaiah wartete an der Tür des Ateliers.
»Jetzt mach schon. Ich habe die Leichen bereits entkleidet. Wie lange braucht das Harz zum Aushärten?«
Jacob stellte die Sachen ab und atmete tief durch. Er hatte angefangen zu schwitzen, und das machte ihn unsicher. »Vielleicht fünfzehn Minuten. Charlie ist ziemlich groÃ. Das ergibt eine groÃe Oberfläche. Aber mit dem Beschleuniger dürfte es auch in zehn Minuten klappen.«
»Gut. Wir haben genug Zeit, aber wir sollten uns trotzdem beeilen. Hast du das Handy der Zielperson geblockt?«
»Schon erledigt. Und die Ortung läuft. Wir brauchen nur noch die Simkarte, um das Zielsignal zu stören, damit wir den Peilsender anbringen können.« Jacob blickte sich anerkennend im Studio um. »Schön hier«, sagte er mit Blick auf die groÃen Fenster und hohen Decken. Seine Augen blieben an den beiden nackten Leichen auf dem Boden hängen, der des dünnen, drahtigen Jamaikaners und der des groÃen, muskulösen Charlie.
»Das würde ihm gar nicht gefallen. Nackt auf dem Boden irgendeiner fremden Bude liegen, und dann auch noch neben einem Schwarzen, rassistisch wie er war. Wie ist es passiert?«
Isaiah nahm ein zersplittertes Glas vom Sideboard. »Das hier steckte in seinem Gesicht.«
»Du siehst aus, als wäre dir was Ãhnliches passiert.«
Isaiah fasste sich besorgt an sein blau geschwollenes Auge. Durch das gebrochene Jochbein und die zerfetzten BlutgefäÃe hatte es die Farbe einer Gewitterwolke angenommen. »Das war ein einziger Faustschlag, ein echter Volltreffer. Hör zu, ich gehe runter zum Transporter, um Eule anzurufen und die Spur der Zielperson aufzunehmen. Du packst die Leichen in die Säcke. Ich komme danach zurück und helfe dir, sie in den Wagen zu bringen. Ab dann hast du zehn Minuten, um hier Ordnung zu schaffen.
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