Das Midas-Kartell
Isaiah viel mehr Kopfzerbrechen bereitete, war Markus Cartright. Der Mann, der eiskalt zuschlug, wenn man ihm eine Waffe vor die Nase hielt. Nicht einmal unter Soldaten gab es viele Männer mit einer so hohen Reaktionsgeschwindigkeit und einem so ausgeprägten Aggressionspotenzial. Und dann das Whiskyglas, das in Charlies Gesicht gesteckt hatte. Das war keine natürliche Reaktion gewesen. In Situationen wie diesen gab ein normaler Mensch auf oder suchte das Weite. Im Affekt reagierte man nicht mit Gewalt auf Gewalt â es sei denn, man war daran gewöhnt und/oder hatte selbst gewalttätige Züge.
Er sah sich die Mail-Anhänge durch, die ihm Eule geschickt hatte, und las Cartrights Kurzbiografie: Privatschule, Reisen, Gelegenheitsjobs. Dann Fotojournalismus. Ein paar Aufträge in Krisenregionen und Ländern, die als gefährlich eingestuft waren. Schwierige Familienverhältnisse. Der Vater war 1993 im Swimmingpool ertrunken. Die Mutter hatte wenig später Selbstmord begangen. Cartright war damals Anfang zwanzig gewesen. Der Ermittler hatte ein paar alte Zeitungsausschnitte ausgegraben, die darüber spekulierten, ob der alte Cartright nicht einem Auftragsmord zum Opfer gefallen war. Mit seinem Rotlicht-Imperium aus Privatklubs und Nachtlokalen hatte er sich genügend Feinde gemacht. Die Etablissements waren alle an Sohn Markus gegangen, der jedoch alles verhökert hatte, die Grundstücke in Soho, sämtliche Gebäude und Pachten. Ganz unten auf der Seite stand die Summe, auf die sein Privatvermögen geschätzt wurde: acht Millionen Pfund.
Isaiah scrollte zurück. Ansonsten schien der Mann nichts zu besitzen, auÃer einem Mietvertrag für ein Fotoatelier in Brixton, einem ramponierten alten Auto und einem Haus in Chelsea, in das ihn seine Ex aber nicht mehr hineinlieÃ. Ganz offenbar hatte der Junge ein Problem damit, sein Erbe unter die Leute zu bringen. Entweder das, oder er hatte es längst verschleudert.
Auf dem Foto, das zu dem Zeitungsartikel gehörte, war neben Markus eine grauhaarige Frau zu sehen. Alle anderen Anwesenden sahen zu, wie der Sarg in die Erde versenkt wurde, doch ihr Blick galt Markus. Sie hatte die gleichen tief liegenden Augen wie er. Seine Mutter, zweifellos. Eine geballte Faust an die Wange gepresst, starrte sie ihren Sohn voller Angst an, als wüsste sie etwas über ihn, das sonst niemand wusste. Als wüsste sie, wozu er fähig war.
43
Markus und Gloria erreichten die Zona 5. Die StraÃe war mit einstöckigen Häusern gesäumt, die nicht mehr als zwei oder drei Zimmer hatten, aber trotz allem besser waren als die Wellblechhütten in den benachbarten Slums. Manche der Häuser waren weià getüncht, manche zeigten nur ihre nackte Fassade aus Hohlblocksteinen. Als sie ausstiegen, scharte sich eine Traube Kinder um den SUV .
»Pass gut drauf auf, okay?«, sagte Gloria zu dem gröÃten Jungen und reichte ihm einen Dollar. » Mi casa «, fuhr sie an Markus gewandt fort und deutete auf einen schmalen Hauseingang mit einem schweren Eisengitter vor der Tür.
Markus folgte ihr in das vollgestopfte Innere des Hauses. Der Hauptraum diente als Küche, Wohnzimmer und vermutlich auch als zusätzliches Schlafzimmer, nach dem Stapel Bettzeug zu urteilen, der auf dem Sofa lag. An der Wand hingen mehrere Fotos. Ein ernst dreinblickender junger Mann in Polizeiuniform. Daneben Gloria und er mit einem Baby auf den Armen.
»¿ Qué haces ?« Aus dem Nachbarzimmer trat eine ältere Frau mit Morgenrock und dickem grauem Pferdeschwanz. Ihr Blick war finster, doch als sie Markus entdeckte, hellte sich ihre Miene auf. »Wer ist das? Kommen Sie rein, kommen Sie rein«, sagte sie lächelnd und ergriff seine Hand. »Gloria, warum hast du mir nicht gesagt, dass wir einen Gast haben? Ich hätte etwas Feines kochen können.« Sie trat einen Schritt zurück und maà Markus mit anerkennendem Blick.
»Nicht nötig, wir können sowieso nicht lange bleiben. Er ist nur ein Arbeitskollege.«
» Buenas tardes «, sagte Markus und streckte ihr mit einem Lächeln die Hand entgegen.
Sie wischte seinen Arm beiseite und küsste ihn herzlich auf beide Wangen. »Englisch? Engländer?«, erkundigte sie sich.
»Ja.«
» Muy bien, muy bien .«
Markus nickte, während ihm allmählich das Lächeln im Gesicht gefror.
»Setzen Sie sich.« Gloria deutete auf das Sofa.
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