Das Millionen-Bewußtsein
etwas von seinen Habseligkeiten mitnehmen durfte. Eine furchtbare Wut hatte ihn erfüllt. Ein Jahr lang schmiedete er nur Pläne, wie er zurück ins Sterilgebiet kommen und es dem verantwortlichen Inspektor heimzahlen könnte. Erst gegen Ende des ersten Jahres war ihm urplötzlich bewußt geworden, daß er keinen einzigen Ausgestoßenen kannte, der die Verbannung länger als ein paar Monate überlebt hatte. Zu der Zeit gab es andere Leidensgenossen, die von ihm selbst wußten, wie lange er sich schon im Draußen befand – er hatte ja nie ein Hehl daraus gemacht. Einige von ihnen begannen zu munkeln, daß er ein Spitzel sei, den ein Geheimmittel vor der Seuche schützte. Er erfuhr von Wohlgesinnten, daß man ihn foltern wolle, bis er dieses vermutete Mittel allen zugängig machte. Daraufhin setzte er sich ab und versteckte sich drei Monate lang, bis er sicher war, daß alle, die ihn gekannt hatten, an der Seuche gestorben waren. Dann malte er sich Flecken und Geschwüre auf und mischte sich unter die neuen Verbannten.
Danach hatte er keine Schwierigkeiten mehr. Eines Tages stieß er jedoch auf eine entferntere Meute von Stromern – so nennt sich die lose Gemeinschaft jener Verbannten, die sich zusammentun, um sich ihr restliches Leben zu erleichtern. Der Führer dieser Gruppe war ein Mann, den der rote Stromer wiedererkannte, und von dem er wiedererkannt wurde. Sie hatten sich vor einem Jahr einmal getroffen. Sie setzten sich zusammen, und Stromer erfuhr, daß es weitere Immune gab, die wie sie aus Gründen der Klugheit, den Nichtimmunen gegenüber ihr Geheimnis wahrten, untereinander jedoch in Verbindung blieben. Fast alle waren Anführer einer eigenen Meute.
Durch diese anderen Immunen hatte der Rote auch von den Aufträgen erfahren, die die Zitadelle an willige Verbannte verteilte und für die sie mit Lebensmitteln und Dingen bezahlte, die das Leben draußen erleichtern konnten. Gewöhnlich handelte es sich bei diesen Aufträgen darum, Diebesgut oder illegale Ware durch das Draußen von einem Sterilgebiet zu einem anderen zu befördern. Die meisten der Verbannten, die zur einen oder anderen Zeit für die Zitadelle gearbeitet hatten, waren Immune, was die Zitadelle aber nie erfuhr. Die Immunen waren verbittert über ihr Los als Ausgestoßene und beneideten die Menschen in den Sterilgebieten, und hegten geradezu einen Haß gegen die Angehörigen der Zitadelle, von denen sie behandelt wurden, als wären sie bereits tot.
»Das wär's«, schloß der Stromer seine Geschichte. »Und was ist mit euch beiden?«
Es dauerte mehr als eine Stunde, bis Chaz, vom Zugunglück angefangen, alles berichtet hatte. Zum Schluß zeigte er dem anderen noch das Tagebuch der vier Toten.
Der rote Stromer stieß einen Pfiff aus und erhob sich. »Kein Immuner, sondern vier Normale. Und ich sorgte auch noch dafür, daß, wer immer als nächster kam, ungestört blieb. Lebt wohl Freunde! Viel Glück!«
»Du willst weg?« rief Eileen.
»Ja. Ihr habt mir zu viele mächtige Feinde.«
»Und du glaubst, du kannst deine Hände reinwaschen von uns, indem du einfach von hier verschwindest?«
»Hmm«, brummte der Stromer nachdenklich. »Es tut mir leid, Freunde ...« Plötzlich hielt er einen Handlaser, den er unter dem Pullover versteckt gehabt haben mußte, in der Rechten und richtete ihn auf Chaz. »Wenn ich die Wahl habe, ihr oder ich, ist es vielleicht besser, ich bringe der Zitadelle eure Leichen.«
Chaz blickte ihn scheinbar ungerührt an. »Du wirst doch nicht die beste Chance, die du seit Jahren hast, einfach wegwerfen. Du brauchst uns viel mehr als wir dich. Oder willst du uns weismachen, daß du gern im Draußen haust und nicht alles tätest, um wieder ein geachtetes Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden?«
»Na, dann erklär mir, wie ich das erreichen könnte. Doch wie ich es sehe, seid ihr beide gegen die Zitadelle, und die hat die größte Macht überhaupt, wenn nicht die einzige.«
»Nein, das stimmt nicht«, entgegnete Chaz. »Das mächtigste ist die Pritchermasse.«
»Die, wie du selbst sagtest, in den Händen der Zitadelle ist«, warf Stromer ein.
»Eben deshalb muß der Zitadelle ein Ende gemacht werden.«
»Der kann doch nichts und niemand etwas anhaben!«
»O doch«, versicherte ihm Chaz. »Das gleiche, das auch früher Herrscher und Diktatoren stürzte – das Volk. Angenommen, allein die Menschen im Chicagoer Sterilgebiet würden vor die Alternative gestellt, entweder der Seuche ausgesetzt zu werden oder
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