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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dubravka Ugresic
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das Leben bewahrt ist, aber um einen Preis, der höher ist als der Wert des Lebens selbst, denn die Kraft für Verteidigung und Erhaltung wurde von künftigen Generationen geliehen, die verschuldet und belastet geboren wurden. In diesem Kampf hat der nackte Trieb zur Verteidigung des Lebens überlebt, während das Leben so viel verloren hat, dass ihm nicht viel mehr als der bloße Name geblieben ist. Was überdauert, ist verstümmelt oder krumm, und was nachwächst, ist in seinem Keim vergiftet. Die Gedanken und Worte dieser Menschen bleiben unvollendet, weil in ihren Wurzeln beschnitten.
    Ivo Andrić

    Ich sagte ihnen, sie brauchten sich keine Sorgen zu machen, denn am Ende würden sie alle gute Noten bekommen. Ich wisse, dass die meisten von ihnen
Serbokroatisch
aus praktischen Gründen belegt hatten, und wolle ihnen daher keine Schwierigkeiten machen.
    »Ich habe einen Lehrauftrag für nur zwei Semester. Es wäre dumm von mir, die
Lehrerin
zu spielen, also brauchen Sie auch nicht die Schüler zu spielen«, sagte ich.
    »Aber was sonst?«, fragte jemand.
    »Nichts.«
    »Wieso nichts?!«, kicherten sie.
    »Wir werden uns schon irgendwie beschäftigen«, sagte ich.
    Sie sahen mich mit offener Neugier an.
    »Ich kann wegen meines Babys sowieso nicht kommen«, sagte eine junge Frau.
    »Macht nichts«, sagte ich.
    »Vielen Dank«, sagte die junge Frau, packte ihre Sachen und ging.
    Die anderen warteten lächelnd, was nun folgen sollte. Da sprang Meliha ein.
    »Wissen Sie, als wir ankamen, brachten sie uns in Flüchtlingslagern unter und – wie die
Dačer
so sind – gaben uns einen Psychiater. Wie sich herausstellte, war die Psychiaterin eine von uns, Flüchtling wie wir. Und sie sagte ehrlich: ›Helft ein bisschen, Leute, werdet verrückt, wenn ihr’s nicht schon seid, denkt euch Traumata aus, sonst verliere ich meine Arbeit‹ …«
    Wir lachten alle. Und so begann es.

    Natürlich war mir das Absurde meiner Situation bewusst. Ich sollte ein Fach unterrichten, das offiziell nicht mehr existierte. Die Jugoslawistik – die vorher die slowenische, kroatische, bosnische, serbische, montenegrinische und mazedonische Literatur umfasste – war als Lehrgegenstand zusammen mit Jugoslawien verschwunden. Die Studenten, denen ich etwas beibringen sollte, waren mehr an den holländischen Papieren als an Literatur interessiert. Ich war hier, um Vorlesungen über die Literaturen des Landes (oder neuerdings der Länder) zu halten, aus dem meine Studenten geflohen oder vertrieben worden waren. Es wurde immer absurder, und das Haus fiel allmählich in Trümmer, durch die ich einen Weg finden sollte.
    Ich fing bei der Sprache an, dem Kroatoserbischen, demSerbokroatischen. Die Sprache, die in Kroatien, Serbien, Bosnien und Montenegro gesprochen wurde, war jetzt in drei offizielle Sprachen geteilt: Kroatisch, Serbisch und Bosnisch. Die »neuen« Sprachen interessierten mich nicht sehr, und ich dachte gar nicht daran, sie wegen fünfzig abweichender Vokabeln voneinander zu trennen. Was mir größere Sorgen machte, war die Entdeckung einer allgemeinen Unflexibilität der Sprache sowie der Unlust und Unfähigkeit meiner Schüler, sich ihrer zu bedienen. Ihrer »problematischen« Muttersprache fügten sie jetzt außer mangelhaftem Englisch auch noch mangelhaftes Holländisch hinzu.
    Ich sagte ihnen, dass Kroatisch, Serbisch und Bosnisch Varianten einer Sprache sind, und dass ich davon nicht abzurücken gedächte.
    »Jede Sprache ist ein Dialekt, hinter dem eine Armee steht. Hinter dem Kroatischen, Serbischen und Bosnischen stehen paramilitärische Banden. Wollen Sie etwa zulassen, dass halbanalphabetische Kriminelle Ihre sprachlichen Berater werden?«, sagte ich. Dabei war ich mir bewusst, dass ich zu einer Generation gehörte, deren Lesebücher Texte in slowenischer, mazedonischer, serbischer und kroatischer Sprache – in lateinischer und kyrillischer Schrift – enthalten hatten, und dass sich in zehn Jahren niemand mehr daran erinnern würde.
    Trotzdem war nicht alles so einfach. Meine Schüler wussten sehr wohl, dass es nicht nur um eine Metapher ging, sondern dass hinter
unseren
Sprachen wirklich Armeen standen. In
unseren
Sprachen wurde tatsächlich gemetzelt, gedemütigt, gemordet, vergewaltigt und vertrieben. Diese Sprachen führten Krieg, in der Annahme, unvereinbar zu sein, vielleicht gerade weil sie untrennbar waren.
    Die Lokalzeitungen waren voller Ratschläge. Jeder, ob Metzger, Friseurin oder Elektriker, war plötzlich ein

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