Das Missverstaendnis
wollte verhindern, daß er zahlte, stammelte unsicher ein paar Worte, während er der Verkäuferin zwei Hundertfrancscheine in die Hand drückte und auf das Wechselgeld verzichtete. Dann überreichte er die Puppe lächelnd Denise; doch sie kannte dieses kalte, gezwungene Lächeln zu gut, das er aufsetzte, wenn er schlechter Stimmung war, diesen harten Blick, diese eigensinnige, böse und traurige Miene. Sie begriff, daß sie seinen Stolz verletzt hatte, ihn auf die ungeschickteste Weise an seine Armut erinnert hatte. (Als wäre nicht sein ganzes Leben davon belastet!) Aber es war nicht ihre Schuld – sie hatte ganz impulsiv gehandelt; der Gedanke lag ihr einfach zu fern, daß zwei armselige Hun dertfrancscheine für irgend jemanden eine bedeutende Summe darstellen könnten … Und dennoch wollte sie sich die Zunge abbeißen … Sie machte sich klein, war voller Unterwürfigkeit; aber sie be merkte sogleich, daß ihn ihre Demut nur noch mehr aufregte; da spielte sie die Kokette, sprach leise mit ihm, warf ihm unter halbgeschlossenen Lidern Blicke zu – worauf er mit steifer Höflichkeit reagierte.
Nach und nach schienen ihre Fröhlichkeit, ihr Schwung unmerklich ins Qualvolle zu kippen. Es war immer so. Zuerst war sie glücklich, sich mit ihm zusammen zeigen zu können, denn durch die Eleganz seiner Erscheinung erregte er bei allen Frauen Bewunderung. Sie war glücklich, sich, erfüllt von einem geheimen und leidenschaftlichen Stolz, immer wieder sagen zu können: »Er gehört mir … mir allein …«; doch dann wurde ihr Herz allmählich schwer, und sie fühlte sich von einem vagen Unwohlsein bedrückt, der Lärm störte sie, und sie hatte keine Lust mehr zu tanzen … Sie war oft so unglücklich, daß sie bittere Tränen hinunterschlucken mußte, die sie zu ersticken drohten. Wie gern hätte sie seinem Gesicht die zurückgedrängte Zärtlichkeit, das mühsam bezwungene Verlangen abgelesen … Andere waren zusammen, fühlten, daß sie zueinander gehörten, mitten in der Menge … Und sie waren so weit, oh, so weit voneinander entfernt … Stets war es so, daß die Anwesenheit von anderen jene so kostbare Illusion von Vertrautheit zerstörte … jene Intimität, fein und selten wie alte Spitze …
War es ihre Schuld oder seine? Sie wußte es nicht und senkte verwirrt den Kopf.
Um sie herum ertönte die wilde und traurige Musik der Neger, ein Auflachen, das gleichzeitig ein Weinen war … ›Das Weinen der Clowns‹, dachte Denise … In manchen Momenten zerriß ihr das ohrenbetäubende Tamtam der großen Trommel, auf die ein Neger mit strahlend weißen Zähnen einschlug, das Herz auf eine barbarische Art, viel grausamer, als eine virtuos beherrschte Bogenführung es vermochte … Nach und nach veränderte sich die Szene; die Frauen vergaßen, ihre Frisuren in Ordnung zu bringen, ihre glänzenden Nasen, ihre schweißbedeckten Wangen zu pudern; in den schmal gewordenen Augen der Männer erschien eine kleine Flamme; und die grau aussehenden Paare tanzten nicht mehr, sondern traten auf der Stelle und rieben dabei ihre erregten Körper aneinander. Eine vage und stumpfe Freudlosigkeit lag über dieser Welt. Madame Franchevielle rauchte, einen Ellbogen auf den Tisch gestützt, ohne auf die bunten Kugeln zu achten, die die vorbeigehenden Männer ihr zuwarfen. Mrs Clarkes und Jessaint sprachen über Golf, Hockey und Polo. Yves schwieg und rührte nachdenklich mit dem Champagnerlöffel in seinem Glas. Nur der schon ziemlich betrunkene Clarkes amüsierte sich nach Kräften; er hatte sich ein Hütchen aus rosarotem Papier aufgesetzt und begann, mit stark gerötetem Gesicht und in seinem komischen falschen Französisch, mit naiven Worten, die sein plötzliches brutales Verlangen nur unvollkommen verbargen, Denise den Hof zu machen. Sie ließ ihn reden und hörte kaum zu; insgeheim wünschte sie ihm den Tod. Die Musik hörte nicht auf, die Tänzer wiegten sich immer noch auf der Stelle, im Licht der Lampen glitzerte der Schmuck der Frauen.
»Hübsch, dieser ganze Luxus«, sagte Jessaint, der keinen ganz sicheren Geschmack besaß.
Er wandte sich an Yves.
Dieser erwiderte barsch:
»Nein, verwerflich und töricht.«
Dann besann er sich und lächelte angestrengt. Früher fand er das alles natürlich und liebenswert, früher, als er noch seinen Teil zu den Festlichkeiten beitragen konnte. Heute spielte er den Moralapostel … Aber es war kein Spiel, dachte er … Tatsächlich gab es in seinem Innersten eine Art Ekel, einen
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