Das Missverstaendnis
bitteren Überdruß, seit einigen Jahren schon – seit dem Krieg? … Dieses Gefühl meldete sich immer wieder … ›Wie ein schäbiger Weltschmerz, ganz ohne romantische Phrasen‹, sagte er sich.
Unterdessen hatte an seinem Tisch eine Debatte begonnen. Die Clarkes wollten die Nacht am Montmartre beenden und dann noch die Halles besuchen. Man beschloß, zunächst ein russisches Nachtlokal aufzusuchen.
»Kommen Sie mit?« wandte sich Denise leise an Yves.
Er biß sich auf die Lippen, während ihm mit ungewöhnlicher Klarheit Zahlen vor Augen traten.
Sein Portemonnaie war vollkommen leer. Er schüttelte den Kopf.
»Denise, ich habe schreckliche Kopfschmerzen …«
Sie begann, in ihn zu dringen: Wenn er sie jetzt in dieser beleidigten, wortlosen Stimmung verließ, wenn sie bis zum nächsten Tag seine kalten Blicke, seine griesgrämigen Antworten im Gedächtnis behalten müßte! Es würde ihre Kräfte übersteigen … Sie erblaßte.
»Ich bitte Sie, ich bitte Sie …«
»Ach«, murmelte er dumpf. Er war gereizt, verkrampft. Sie fragte sich, ob er durch Clarkes’ aufdringliche Annäherungsversuche womöglich eifersüchtig geworden sei.
Sie sagte:
»Die Anzüglichkeiten dieses dummen Menschen haben Ihnen doch nichts ausgemacht?«
Er war versucht zu lachen.
»Aber nein, lieber Gott …«
Die Verachtung in seiner Stimme verletzte sie wie eine Ohrfeige. Sie wurde rot.
»Dann kommen Sie eben nicht mit … Eigentlich ist es mir lieber so … Sie verderben mir jeden Spaß …«
Ihre Stimme wurde heiser, sie mußte die Tränen unterdrücken. Mit einer eisigen Geste der Entschuldigung verbeugte er sich vor ihr:
»So war es nicht gemeint … Ich bedaure zutiefst …«
Sie gingen; draußen prasselte dichter Regen auf den Asphalt; heftige Windstöße ließen die Flämmchen in den Gaslaternen flackern.
»Sollen wir Sie zu Hause absetzen?« fragte Jessaint, als das Auto vorfuhr, schwarz, schimmernd und elegant; der Regen ließ es noch mehr glänzen.
Yves hatte in Jessaints Stimme einen Ton entdeckt, der sich verdächtig nach Mitleid anhörte, und hatte gute Lust, nein zu sagen. Doch dann warf er einen Blick auf seine Lackschuhe und sah sich, durchnäßt und durchfroren, eine lächerliche Figur, in seinem eleganten Cape und mit seinem Seidenhut im Regen hin und her laufen auf der Suche nach einem Taxi und gab sich geschlagen.
Als man ihn bis vor seine Haustür gebracht hatte und das Auto in Richtung Place Pigalle weiterfuhr, fragte Clarkes:
»Warum ist Monsieur Harteloup nicht mitgekommen?«
Jessaint zuckte die Achseln; er verstand sehr wohl, was seine Frau als verwöhntes Mädchen nur mit Mühe einsah.
»Er ist blank, der arme Kerl«, sagte er mit einem kleinen selbstgefälligen Lachen, dem Lachen des selbstsicheren reichen Mannes, der mit sich und seinem Reichtum zufrieden ist. »Wie schade, daß er so stolz ist. Und auch nicht gerade sehr schlau. Er hätte durchaus begreifen können, daß wir ihn schon nicht hätten zahlen lassen …«
Denise sagte plötzlich, daß sie frische Luft brauche, kurbelte das Fenster herunter und beugte sich nach draußen, ohne sich um den Regen zu kümmern, mit ihrem roten, glühenden Gesicht. Sie haßte ihren Mann für das Mitleid, das er ihrem Geliebten gegenüber an den Tag legte. Ihre Hände krampften sich nervös um das Diamantencollier an ihrem Hals; unvermittelt ließ das Licht einer elektrischen Lampe das Wageninnere aufleuchten, und die Diamanten blitzten aus der Öffnung ihres Mantels heraus. Sie biß die Zähne zusammen. Sie wollte sich all diese Steine vom Hals reißen, sie Yves zuwerfen und ihm sagen: »Nimm sie, aber lächle …« Aber konnte man das Glück kaufen?
Sie war zornig auf ihn und schämte sich gleichzeitig dafür, aber das änderte nichts an ihrem Zorn. Warum war er nicht der Schönste, der Beste und der Reichste? Er war ein Mann, er war der Mann, den sie liebte; sie brauchte das Gefühl, ihn zu bewundern, zu respektieren, und ebensosehr wollte sie, daß andere ihn bewunderten und respektierten … Und nun bedauerte man ihn. Sie konnte nicht aufhören, sich die Lippen zu zerbeißen.
Jessaint fragte sie mit liebevoller Besorgnis:
»Was haben Sie, Denise, warum sind Sie so blaß?«
Dabei nahm er ihre Hand.
»Ach, lassen Sie mich«, rief sie fast haßerfüllt.
Verblüfft und erschrocken wich er zurück. Da schlug sie ihren Mantelkragen hoch, als wäre ihr kalt, und verbarg ihr Gesicht; voller Angst spürte sie, daß ihr die Tränen aus den Augen
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